Film – Dokumentation über die Nakbah (2022)
Im Anschluss an den Film werden die zwei ältesten Palästinenser aus Bremen und Zeitzeugen der Vertreibung und Nakba die Geschichte ihrer Familie erzählen: Mohammed Dakkour (geb. 1947, Safad/Palästina) und Samir Al-Abed (geb. ca. 1947, Akka/Palästina)
Statement des Regisseurs Alon Schwarz
Wie andere, die in Israel aufgewachsen sind, bin ich mit einer sehr schönen Geschichte aufgewachsen. Unsere jüdischen Gründerväter kamen in „ein Land ohne Volk“. Die Araber, die vor 1948 hier lebten, flohen aus eigenem Willen. Wir sind eine reine Nation; unser Volk war damals wie heute rechtschaffen. Wir haben die moralischste Armee der Welt. Diese Geschichten, die wir Israelis uns selbst erzählen, haben in meinem Kopf als absolute Wahrheiten mein ganzes Erwachsenenleben lang überlebt, auch nachdem ich während der „Intifada“ ein junger Soldat war. Ich habe mich immer als Mitglied der gemäßigten Linken des politischen Spektrums Israels identifiziert, und wie meine Freunde habe ich all diese Geschichten geglaubt und sie selten in Frage gestellt.
Als ich mit diesem Projekt begann, war es als ein Film über junge Menschenrechtsaktivisten von israelischen Nichtregierungsorganisationen gedacht, die sich gegen die Besatzung von 1967 stellen und versuchen, sie zu beenden. Ich war traurig darüber, wie diese Aktivisten, die ich als patriotische Helden betrachte, von israelischen Politikern, Medien und der allgemeinen Gesellschaft als Verräter abgestempelt werden, und ich wollte unbedingt etwas gegen diese sich entwickelnde Realität unternehmen.
Eines Abends stieß ich zufällig auf eine Webseite über Teddy Katz und seine Recherchen zu den Ereignissen von Tantura im Jahr 1948. Überall, wo ich auf israelischen Websites hinsah, fand ich eine Geschichte über einen Mann, der von allen Systemen – Wissenschaft, Justiz, Presse und Gesellschaft – als Lügner bezeichnet wurde. Ich fand es besonders merkwürdig, dass sich jemand in einer solchen Lage befindet, nachdem er über 100 Stunden an Zeugenaussagen auf Tonbändern aufgezeichnet hatte. Nachdem ich Teddy am nächsten Morgen angerufen hatte, besuchte ich ihn, ohne zu wissen, was mich erwarten würde. Ich traf auf einen körperlich gebrochenen Mann mit einem tiefen Bedürfnis, seine Wahrheit ans Licht zu bringen, nachdem ihm zwanzig Jahre zuvor alles genommen worden war.
Das Anhören der Kassetten öffnete mir langsam die Augen für eine schockierend komplexe Realität, der ich mir nicht einmal im Entferntesten bewusst war.
Als ich begann, mir die Bänder anzuhören, beschloss ich bewusst, mich nicht darauf zu konzentrieren, ob Teddys Dissertation nach akademischen Standards gut geschrieben war oder ob er die Bänder in seiner Arbeit zu 100 % korrekt zitiert hatte. Ich beschloss auch, nicht viel Zeit auf die arabischsprachigen Zeugenaussagen zu verwenden, die den Schwerpunkt von Teddys ursprünglicher Untersuchung bildeten. Diese von Teddy aufgezeichneten Zeugenaussagen wurden seinerzeit transkribiert, und der Streit um ihre Richtigkeit wurde während des Verleumdungsprozesses im Jahr 2000 und später im Rahmen der Untersuchung in den akademischen Ausschüssen in Frage gestellt, die schließlich Teddys These ablehnten und seine Glaubwürdigkeit zerstörten. Stattdessen war ich daran interessiert, mich auf die Tonaufnahmen der jüdischen Soldaten zu konzentrieren und auf der Grundlage dieser mündlichen Zeugenaussagen meine eigenen Schlüsse über die Geschehnisse zu ziehen. Ich beschloss, mir alle hebräischen Tonaufnahmen anzuhören, bevor ich die von den gegnerischen Parteien im Jahr 2000 erstellten Abschriften las, da mir klar war, dass in den Abschriften wichtige Informationen fehlen könnten – Intonation, Nuscheln, schlecht aufgenommene Teile mit problematischem Ton und ausgelassene Wörter.
Dank moderner digitaler Audioverbesserungstools konnte ich hören, was selbst Teddy Katz und andere Transkriptionisten auf den verrauschten Analogbändern nicht hören konnten. Als ich mir mehr und mehr Interviews anhörte, war ich erstaunt über die Detektiv- und Sammlungsarbeit, die Teddy mit einem Null-Budget leistete, indem er Dutzende von Zeugen befragte. Viele der damals 70-jährigen Militärveteranen erzählten ihm direkt oder deuteten eine Geschichte an, die einfach erstaunlich war. Ich hörte auch genau auf die Nuancen in der Stimme einiger Veteranen, die sagten, dass „nichts passiert“ sei oder dass sie nicht darüber sprechen wollten, was passiert war, und verstand zwischen den Zeilen, was sich wahrscheinlich tatsächlich ereignet hatte.
Ich hatte möglicherweise eine dokumentarische Schatztruhe gefunden, indem ich Zugang zu diesen nie zuvor öffentlich gehörten Bändern erhielt, und begann fieberhaft nach Kontakten zu den verbliebenen Veteranen zu suchen, die jetzt in den Neunzigern sind. Ich begann zu erkennen, dass die interessanteste Geschichte hier nicht nur die Ereignisse von Tantura im Jahr 1948 sind, sondern das systematische Schweigen, das in Israel seit Jahrzehnten über alles und jeden verhängt wird, der es wagt, die Gründungsmythen unserer Nation in Frage zu stellen.
Als ich mich mit den Soldatenveteranen zusammensetzte und die Kamera einschaltete, konnte ich sehen, wie sensibel das Thema Tantura für viele von ihnen war. Zu meiner Überraschung begannen einige Veteranen ohne meine Aufforderung über die Schlacht von Tantura und die Ereignisse danach zu sprechen. Es war, als wollten sie eine tief in ihrer Seele vergrabene Wahrheit mitteilen. Das brachte mich dazu, darüber nachzudenken, woran wir uns erinnern wollen und was wir zu vergessen versuchen. Was würden Sie tun, wenn Sie ein dunkles Geheimnis in Ihrer Vergangenheit hätten? Würden Sie damit sterben? Würden Sie Ihrer Frau davon erzählen? Haben sie auf eine Gelegenheit gewartet, ihre Geheimnisse loszulassen? Wie dem auch sei, als mir einige Veteranen vor der Kamera erschütternde Geständnisse machten, wusste ich, dass wir auf dem Weg zu einem potenziell historischen Dokument waren.
Für mich ist der Film vor allem ein intimes, augenöffnendes Dokument über unsere Kultur – eine Nation von Menschen, die ihre Geschichte rein und schön halten wollen – und eine historische Realität, der wir uns stellen und die wir anerkennen müssen, während wir als Gesellschaft reifen.
Heute weiß ich, dass der Krieg von 1948 keine einseitige Geschichte war. Beide Seiten töteten nach Beendigung der Kämpfe unbewaffnete Menschen – in Tantura wie auch an anderen Orten. Diese Soldaten zogen in den Krieg, weil sie glaubten, es sei ein Akt des Überlebens, und im Kontext einer Welt nach dem Holocaust war die Geschichte einer angegriffenen Nation die Erzählung ihres Lebens. Ich weiß aber auch, dass wir als starke Nation unsere Vergangenheit kennen, die Verantwortung für unsere Taten übernehmen und unsere palästinensischen Gegner anders betrachten müssen, indem wir auch ihre Geschichte anerkennen und beginnen, uns mit ihrem Schmerz auseinanderzusetzen, nicht nur mit unserem. Ich glaube, erst wenn die israelische Gesellschaft diesen tiefgreifenden und schwierigen Prozess durchlaufen hat, werden wir eine Chance für einen sinnvollen Dialog und den Beginn einer fruchtbaren Diskussion über eine dauerhafte Koexistenz mit unseren palästinensischen Nachbarn haben. Ich glaube, dass eines Tages Frieden herrschen wird. Ich fühle mich nicht naiv, wenn ich das sage, und ich hoffe, dass dieser Film als ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen Bewusstsein und neuer Hoffnung für mein geliebtes Land und mein Volk dienen kann, das von den Kräften unserer Gründungsmythen seiner wahren historischen Geschichte beraubt wurde. – Alon Schwarz, Regisseur, _Tantura_.
Rezension des Film vom Deutschlandfunk (5.3.2022) (Audio-Transkription)
In Israel hat ein neuer Dokumentarfilm eine große Debatte ausgelöst, dabei wurde dieser Film noch gar nicht so richtig der Öffentlichkeit gezeigt. Aber es geht um ein sehr sensibles Thema, den arabisch-israelischen Krieg von 1948, 1949 und die Frage, ob dabei Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung verübt wurden. Regisseur Alan Schwarz hat sich das Beispiel eines Dorfes vorgenommen, Tantura um genau zu sein, und greift für seinen Dokumentarfilm auf Zeitzeugeninterviews zurück.
Dabei geht es ihm nicht nur um die historischen Fakten, sondern auch darum, wie diese lange verleugnet wurden. Dafür hat er einen beeindruckenden Protagonisten gefunden. Anne-Francoise Weber hat die beiden getroffen, den Film für uns gesehen und Tantura für uns besucht.
„Ich war bereit zu töten, denn es wurde mir beigebracht, dass wir auf diesem Weg unsere Feinde vernichten oder dafür sorgen, dass sie uns fürchten und sich von uns fernhalten.“ Im Film Tantura von Alan Schwarz erzählen israelische Veteranen, die meisten um die 90 Jahre alt vom arabisch-israelischen Krieg 1948. Kurz nach der Staatsgründung Israelsam, 22. Mai, eroberte ihre Brigade, dass palästinensische Dorf Tantura südlich von Haifa am Mittelmeer gelegen. Schwarz will wissen, haben diese Soldaten nach dem Ende der Kampfhandlung kaltblütig palästinensische Zivilisten getötet?
Schon lange gibt es Hinweise darauf, doch in diesem Film sprechen die mutmaßlichen Täter. Manche geben viel zu, andere streiten alles ab. Dem Regisseur geht es dabei gar nicht um Verurteilung. Auch deswegen hat Schwarz, dessen Großeltern vor den Nazis aus Berlin ins britisch verwaltete Palästina geflohen waren, viele Filmszähnen mit fröhlichen zionistischen Liedern unterlegt. Sie transportieren die Aufbruchsstimmung zur Zeit der Staatsgründung. Diese Lieder, diese Generation, das ist die Generation meiner Großeltern. Ich liebe sie alle. Und ich bin auch denen verbunden, die diese Dinge getan haben und damit jetzt rauskommen. Sie sollten dafür Beifall halten, anstatt dass sich Leute über sie agern. Diese alten Leute haben das Schweigen gebrochen und ich wünschte, immer mehr würden das tun. Schwarz gibt zu, dass er vor der Arbeit an diesem Film selbst wenig über die Ereignisse von 1948 wusste, die von palästinensischer Seite als nackbar Katastrophe bezeichnet werden.
Der offiziellen israelischen Geschichtsschreibung nach haben große Teile der palästinensischen Bevölkerung damals die Flucht ergriffen, ohne dass es zu Massakern oder anderen Verbrechen an der Zivilbevölkerung kam. Wie schwer es war, gegen diese Version anzugehen, hat Teddy Katz erlebt. Er hatte in den 1990er Jahren für eine Masterarbeit an der Universität Haifa Interviews mit israelischen und palästinensischen Zeitzeugen über die Geschehnisse in Tantura geführt. Seine Arbeit erheb zunächst eine Bestnote, doch einige Zeit später erreichte sie durch einen Zeitungsartikel eine größere Öffentlichkeit und ein Sturm der Entrüstung brach über Teddy Katz herein. Er wurde der Lüge und der Verleumdung bezichtigt, unter Druck gesetzt und entschied sich schließlich seine Ergebnisse zu widerrufen und eine Entschuldigung zu unterzeichnen.
Der heute 78-Jährige gesundheitlich sehr angeschlagene Mann erlebte die Begegnung mit Regisseur Alan Schwarz als Befreiung. Für mich war das ein sehr großer Moment nach diesen 22 Jahren, in denen ich als Lügner bezeichnet und beschimpft und vor den Augen meiner Familie auch physisch angegriffen wurde. Plötzlich kommt jemand, streckt seine Hand aus und sagt, komm, wir gehen dieses Thema neu an mit mehr Zeugen und mehr Interviews. Das war für mich wie ein großes Licht. Alan Schwarz, der eher zufällig auf Teddy Katz gestoßen war, fand mitdessen 140 Stunden Interviewaufnahmen einen Schatz. Wieder und wieder hörte er sich vor allem die jüdisch-israelischen Zeugenaussagen an und nahm sie als Grundlage für neue Interviews mit den gleichen und mit anderen Akteuren.
Filmisch stellten ihnen diese alten Audio-Kassetten aber vor eine große Herausforderung. Ich wollte selbst eigentlich gar nicht im Film vorkommen, aber letztlich haben wir es getan, denn es musste viel Audio bebildert werden. Manchmal filmen wir die alten Leute, wie sie die Aufnahmen hören, manchmal sieht man andere Dinge. Aber irgendwie musste auch mein Anteil an der Recherche gezeigt werden, deswegen konnte ich nicht nur zwei Sekunden lang im Film auftauchen. Also entschied Schwarz mit seinem Team, die Hörszenen nachzustellen, in einer gedeigenen Studiokulisse mit langen Einstellungen auf Kopfhörern und Kassettenrekorder.
So ein Gerät hat Schwarz in Wirklichkeit gar nicht benutzt, vielmehr digitalisierte Erkatzaufnahmen, um mit technischen Mitteln auch genuschelte Sätze verständlich zu machen. Ergänzen dazu hat er in seinen eigenen Interviews auch kritische Stimmen eingefangen. So erklärte ein israelischer Historiker im Film rundheraus, er glaube keinen Augenzeugen berichten. Oztermin in Tantura, oder vielmehr dort, wo zwischen dem Dorstrand, einem großen Parkplatz, einer Ferienanlage und einem Kibbutz am Total noch wenige Überreste des früher von rund 1.700 Menschen bevölkerten Dorfes zu finden sind. Umar Al-Rubari zeigt, wo früher der Friedhof und die Moschee waren und für die Gruppe israelischer und ausländischer interessierte auch dorthin, wo massengräber vermutet werden. Der palästinensische Israeli arbeitet für die Organisation Soch Road, die über die Nackbar informieren will und dazu verschiedene Besichtigungstouren anbietet. Dass heute über 50 Menschen gekommen sind, führt Al-Rubari auf das große Medienecho zurück, dass der Film noch vor seiner Veröffentlichung ausgelöst hat. Es ist vielleicht etwas frustrierend, dass Israeles nur die Augen öffnen, wenn ein Israeli auf hebräisch erzählt, was passiert ist, während die palästinensischen Zeugenaussagen nicht gehört werden oder ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Aber wir kennen das schon. Deswegen nutzen wir die Gelegenheit und laden Israeles ein, den Ort zu besuchen, über den der Film spricht. So wird das Thema wieder aufgegriffen. In einem Punkt sind sich Aktivist Omar Al-Rubari, Regisseur Alon Schwarz und Protagonist Dettikatz einig. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Narrativen um die Ereignisse in Tantura soll nur ein Anfang sein, um anders auf die Geschehnisse 1948 und die Darstellung von israelischer Staatsgründung und palästinensischer Nackbar zu schauen. Alon Schwarz hat schon jetzt einige Kritik für seinen Film bekommen. Manche finden er die Famile, die Veteranen, für andere kann Schwarz als Zionist, dem palästinensischen Leid gar nicht gerecht werden. Dennoch will er in diesem Jahr mit Israeles und Palästinensern jeglicher politischer Kulör reden, denn … Ich glaube nicht, dass es wichtig ist, nach Knochenüberresten zu graben. Und ich glaube auch nicht, dass die Zahlen wichtig sind, ob nun 75 oder 250 Menschen getötet wurden. Wichtig ist, sich das Gesamtbild anzuschauen, bis es geschehen und nicht nur in Tantura Und wir als Gesellschaft müssen das anerkennen, wir müssen reifen und nach vorne blicken als Mittel zur Versöhnung. Es wird keine Versöhnung geben und keinen Dialog, bevor wir nicht dieses Stück Geschichte anerkennen.