Ramadan-Empfang im Rathaus – nur in Bremen möglich?

Am 15. April hatte in Bremen der Bürgermeister der Hansestadt die muslimischen Vereine, die Vertreter aller muslimischen Ethnien sowie zahlreiche Gäste aus den anderen Religionsgemeinschaften und aus Politik und Gesellschaft zum traditionellen Ramadan-Empfang in die prächtige obere Rathaushalle geladen. Durch das Programm führte Merve Nur Kilinç-Çakır. Sie ist die Tochter des früheren Vorsitzenden der Schura Bremen, Mehmet Kilinç und die Schwester von Ebubekir Kilinç, der vielen in Bremen inzwischen bekannt sein dürfte, weil er seit einigen Wochen die großen von der Palästinensischen Gemeinde organisierten Kundgebungen und Demonstrationen („Free Gaza! Free Palestine!“) moderiert. Merve Nur Kilinç-Çakır präsentierte sich als junge, gut ausgebildete Muslimin, die souverän und charmant die Versammlung leitete. Beeindruckend ihre Bemerkungen über die Integration der Muslime in die Gesellschaft, die nicht nur einfach akzeptiert sein sondern aktiv mitgestalten wollen – und das auch können! Wie üblich wurde zu Beginn eine Koran-Rezitation vorgetragen.

Es folgte die Rede des Hausherren, seines Zeichens Präsident des Senats und in Personalunion Senator für Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, Andreas Bovenschulte. Seit 1998 habe dieser Empfang seinen festen Platz im gesellschaftlichen Leben dieser Stadt. Zuversichtlich meinte er: „Unser interreligiöser Dialog funktionert auch in schwierigen Zeiten. Wir kommen zusammen, wir reden miteinander. Das ist die Grundlage für ein gutes Zusammenleben.“ Dazu gehöre für ihn die Abwehr jeder gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, gegen antimuslimischen Rassismus ebenso wie gegen Antisemitismus. Bovenschulte blieb zwar in seinen Ausführungen sehr allgemein – wie üblich in Festreden -, unterhielt sich dann aber beim anschließenden Empfang fast eine Stunde lang mit jungen Vertretern der palästinensischen Gemeinde, die demonstrativ ihre Kufiya (das Palästinensertuch) um die Schultern trugen und den Bürgermeister über ihre Sorgen und Probleme in dieser Stadt informierten.

Danach ergriff für die „Islamische Föderation Bremen e.V.“ wiederum eine junge Muslima das Wort. Hilal Akan konstatierte in den letzten Jahren deutliche Fortschritte in der Akzeptanz der Muslime in dieser Gesellschaft. Während überall in Deutschland noch über das Kopftuch-tragen debattiert würde, wäre das in Bremens Schulen mittlerweile selbstverständlich. Allerdings würde sie sich wünschen, dass es eines nicht allzu fernen Tages auch Richterinnen und Polizistinnen mit Kopftuch gäbe.

Mit einer gewissen Spannung aufgenommen wurde die Grußadresse von Grigori Pantijelew von der Jüdischen Gemeinde Bremen. Er schlug sehr versöhnliche Töne an, begrüßte die Anwesenden auf arabisch und meinte mit Blick auf die heiligen religiösen Schriften (Bibel und Koran), dass ja eigentlich beide, Muslime und Juden, der Herkunft nach Geschwister seien. Weil geschrieben stehe, dass Isaak, der Sohn von Abraham und Sahra, einer der Stammväter des Volkes Israel sei. Und Ismael, der Sohn von Abraham und Hagar, einer der Stammväter aller Muslime. Und, fuhr Pantijelew fort, man könne sich doch nur wünschen, dass Muslime und Juden sich besser verstünden als seinerzeit, vor vielen tausend Jahren, Isaak und Ismael. Die Zeiten wären zur Zeit sehr schwierig und noch schwieriger wäre es, darüber zu sprechen. Nach dem 7. Oktober 2023, als der Gaza-Krieg begann, habe er einen Anruf von Murat Çelik von der Schura Bremen erhalten, der auch wenige Tage später in die jüdische Gemeinde gekommen sei und sich am Friedensgebet „mit guten und verständnisvollen Worten“ beteiligt hätte. Vieles wäre nicht schön, und es gäbe viel zu besprechen. Aber es käme darauf an, die Sprachlosigkeit zwischen den Religionsgemeinschaften zu überwinden und den Dialog aufrecht zu erhalten. Es fiel auf, dass der Vertreter der Jüdischen Gemeinde auf das gegenwärtige Israel mit keinem Wort einging. Auch in das Klagelied, dass der Antisemitismus in Deutschland immer mehr zunähme, stimmte er nicht ein. Wichtig waren für ihn der interreligiöse Dialog und die Verständigung. Man merkte, dass er vor diesem Publikum keinen Konflikt wollte. Er erhielt lebhaften Beifall.

Die Begrüßung durch den Schriftführer und theologischen Leiter der Bremischen Evangelischen Kirche, Bernd Kuschnerus, war dagegen erwartungsgemäß blass. Kein konkretes Wort, keinen konkreten Kommentar der Kirche zum Nahost-Konflikt war von ihm zu vernehmen. Nur von Dialog und Verständigung war wieder und wieder die Rede.

Ganz anders der derzeitige Vorsitzende der Schura, Murat Çelik, der wie schon beim öffentlichen Fastenbrechen auf dem Marktplatz eine Woche zuvor deutliche Worte zum Gaza-Krieg fand. Viel zu inflationär würde in Deutschland mit dem Vorwurf des Antisemitismus umgegangen, wenn es um die konkrete Kritik an der Politik des israelischen Kriegskabinetts ginge. Menschenrechte und das Völkerrecht müssten gleichermaßen für alle Menschen gelten. Die Schura formuliere mit aller Deutlichkeit ihre Erwartung an die Bundesregierung und an die Landesregierungen, sich für einen sofortigen Waffenstillstand, einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen, für eine Öffnung der Zugänge für humanitäre und medizinische Hilfe nach Gaza einzusetzen.

Einige jüngere Mitglieder der Palästinensischen Gemeinde Bremen e.V. führten, wie schon erwähnt, nach dem Empfang ein längeres Gespräch mit Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Dabei waren sie erst mit Verspätung ins Rathaus reingelassen worden, weil die Polizei am Eingang zunächst ihre Palästinensertücher moniert hatte.

Es war ein kommunkationsreicher Abend. Mit viel gutem Willen auf allen Seiten. Wenn auch viel von dem, was an Konflikten in Bremen vorhanden ist, unter den Teppich gekehrt wurde, so wurden doch – alles in allem – erfreuliche Zeichen gesetzt. Dass der Bürgermeister der Hansestadt Bremen zum Ramadan ins Rathaus einlädt, zum Dialog auffordert und ihn auch selber praktiziert – das ist aus den anderen großen Städten in Deutschland bisher nicht berichtet worden. Vor allem in Berlin wäre das bei dem aufgeheizten Klima um den Palästina-Kongress undenkbar.

Übrigens: die Bremer Medien – wir haben ja nur zwei – waren wieder ein Trauerspiel und berichteten (fast) überhaupt nichts über den Ramadan-Empfang. Der Weser Kurier widmete dem Event kümmerliche 20 Zeilen in einer schmalen Spalte (am 16.04.2024), und Radio Bremen berichtete überhaupt nichts.
Detlef Griesche und Sönke Hundt