Nahost Hintergründe – Ausgabe 2024-09

1. Termine in Bremen

  • 6.9. 19 Uhr Offener Austausch zur Lage in Palästina im Paradox, Bernhardstr. 12
  • 15.9. 16 Uhr Dokumentarfilm „The Law and the Prophets“ zur Lage in der besetzten Westbank im Theatersaal der Zionsgemeinde in der Kornstaße 31, in der Neustadt
  • 17.9. 19 Uhr Konzert mit dem palästinensischen Pianisten Aeham Ahmad, Träger des „Internationalen Beethovenpreises für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion“ zusammen mit Martin Schulze.  Dienstag, den 17.September 2024 um 19.00 Uhr im Theatersaal der Zionsgemeinde in der Kornstaße 31, in der Neustadt

2. DPG-Vorsitzender Nazi Mushabarsh in Phoenix Gesprächsrunde: Do.5.9.  21 Uhr Es geht u.A. um Waffenlieferungen

3. Michael Lüders hat am 27.8. einen neuen Podcast veröffentlicht: Waffenstillstand? Warum der Nahe Osten nicht zum Frieden findet. (1 Stunde!)   https://www.youtube.com/watch?v=nFpKVE7aO4U

4. Das UN-Büro OCHA berichtet fast täglich über alle Vorfälle in Gaza und der Westbank. Hier ist einer der vielen unsäglichen Gewaltakte, die israelische Siedler zusammen mit israelischen Soldaten verüben:
Am 23. August griffen israelische Streitkräfte zwei palästinensische Männer in der Nähe von Al ‚Auja im Gouvernement Jericho körperlich an und verletzten sie. Örtlichen Quellen zufolge griff eine Gruppe bewaffneter israelischer Siedler in Begleitung israelischer Streitkräfte zwei Palästinenser an, die in dem Gebiet ein Picknick machten. Die israelischen Siedler schossen mit scharfer Munition auf das Fahrzeug der beiden Männer, beschädigten die Reifen und stahlen das Nummernschild. Die israelischen Streitkräfte nahmen die beiden Männer daraufhin fest und hielten sie auf einem Militärstützpunkt in Jericho fest, wo sie körperlich angegriffen und verletzt wurden, bevor sie zur medizinischen Behandlung ins Krankenhaus von Jericho gebracht wurden.

5. Der israelische Außenminister Katz (Likud) tweetete gestern Abend (27.8.) auf X: https://x.com/Israel_katz/status/1828654399360586025  „Die IDF arbeitet ab heute Abend intensiv in den Flüchtlingslagern Dschenin und Tulkarem daran, die dort aufgebauten islamisch-iranischen Terrorinfrastrukturen zu vereiteln. Iran arbeitet daran, im Westjordanland eine östliche Terroristenfront nach dem Vorbild von Gaza und Libanon aufzubauen , durch die Finanzierung und Bewaffnung von Terroristen und den Schmuggel fortschrittlicher Waffen aus Jordanien.
Wir müssen mit der Bedrohung genauso umgehen wie mit der terroristischen Infrastruktur in Gaza, einschließlich der vorübergehenden Evakuierung palästinensischer Bewohner und aller erforderlichen Schritte. Dies ist ein Krieg um alles und wir müssen ihn gewinnen.“
Das bedeutet, dass Israel wie in Gaza auch in der Westbank die Palästinenser vertreiben oder töten will!

6. Sabeel/Welle des Gebets schreibt (http://www.fvsabeel-germany.de/welle%20des%20gebets.htm)
In der vergangenen Woche hat das israelische Militär seine größte militärische Invasion im Westjordanland seit der Zweiten Intifada im Jahr 2002 gestartet und die palästinensischen Städte Dschenin, Tulkarem und Nablus angegriffen. Israelischen Medienberichten zufolge werden bei diesem Angriff Tausende von Soldaten, Luftangriffe und Raketen auf unbestimmte Zeit beteiligt sein. Seit der Ankündigung sind bereits mindestens 21 Palästinenser bei israelischen Militäroperationen getötet worden. Mindestens 646 Palästinenser, darunter 148 Kinder, wurden seit Beginn dieses Jahres von israelischen Soldaten und Siedlern im besetzten Westjordanland getötet.
Letzte Woche erklärte Human Rights Watch (HRW), dass Israels Angriffe auf die Infrastruktur des Gesundheitswesens und die Wasserversorgung sowie die anhaltende Behinderung von Hilfslieferungen zu einem „potenziell katastrophalen Polioausbruch“ im Gazastreifen beitragen, nachdem ein 10 Monate altes Baby im ersten bestätigten Fall von Polio seit 25 Jahren durch das Poliovirus vom Typ 2 gelähmt wurde. Während die israelische Armee bei der Lieferung von 25.000 Impfstoffampullen durch die UNO kooperierte, weigerten sich ihre Befehlshaber, die Bombardierungen einzustellen, um eine sichere und wirksame Immunisierung zu gewährleisten.
Letzte Woche musste das Welternährungsprogramm (WFP) seine Arbeit im Gazastreifen unterbrechen, nachdem eines seiner Fahrzeuge nur wenige Meter von einem israelisch kontrollierten Kontrollpunkt entfernt unter Beschuss geraten war. Nach Angaben der Organisation war es das erste Mal in dem seit 10 Monaten andauernden Krieg, dass eines ihrer Fahrzeuge in der Nähe eines Kontrollpunktes direkt beschossen wurde.
Letzte Woche hat der rechtsextreme israelische Politiker Itamar Ben-Gvir die religiösen Spannungen weiter angeheizt, indem er dazu aufrief, den Status der Al-Aqsa-Moschee zu ändern, und sich für den Bau einer Synagoge in der Moschee aussprach. Er hat zwar schon Einmärsche mit illegalen israelischen Siedlern in die Al-Aqsa-Moschee geleitet und dazu aufgerufen, jüdische Gebete an diesem Ort zuzulassen, doch ist dies das erste Mal, dass der Minister offen über den Bau einer Synagoge an diesem Ort spricht. In den letzten Monaten genoss Ben Givir den Schutz der israelischen Polizei, die seiner Zuständigkeit untersteht, während er den rechtlichen und historischen Status von Al Aqsa missachtete. Das palästinensische Außenministerium warnte vor schwerwiegenden Folgen von Ben Givirs Aufruf, da es sich um einen ausdrücklichen und öffentlichen Aufruf zum Abriss von Al-Aqsa und zum Bau des angeblichen Tempels an seiner Stelle handele.

7. Die taz setzt sich kritisch mit  der vom Bundestag geplanten  Antisemitismusresolution auseinander: „Ausweitung der Grauzone – Vor dem 7. Oktober soll im Bundestag eine Resolution gegen Antisemitismus eingebracht werden. KritikerInnen befürchten die Einschränkung der Meinungsfreiheit“. https://taz.de/Debatte-um-Antisemitismusresolution/!6029657/

8. Charlotte Wiedemann hat einmal mehr einen einsichtsreichen Artikel geschrieben: „Von Windhoek nach Gaza – Deutschlands Erinnerungskultur ist auf Abwegen unterwegs. Das hat fatale Konsequenzen.“ https://www.medico.de/blog/zwischen-windhoek-und-gaza-19589?mtm_campaign=nl_19610
„Wenn Deutschland mit dem Völkermord an Juden und Jüdinnen die Unterstützung einer Kriegsführung begründen kann, die große Teile der Welt als Genozid betrachten, ist auf wenig mehr Verlass. Die humanistische Substanz der offiziellen Erinnerungskultur erweist sich als erschreckend dünn – und damit ist auch die Annahme erschüttert, das Gedenken an die NS-Verbrechen werde helfen, künftigem Faschismus und Autoritarismus vorzubeugen. Stattdessen sind wir mit einer repressiven Staatsraison konfrontiert, die das Autoritäre ethisch verkleidet.“
…der italienische Historiker Enzo Traverso das Ausmaß der Krise so: „Wie kann die Erinnerung an die Shoah überhaupt noch verteidigt werden, nachdem mit ihr ein Genozid legitimiert
wurde?“
…Wer das massenhafte Töten in Gaza als Verteidigung westlicher Werte rechtfertigt, weist das Bemühen um mehr koloniales Erinnern nun mit auffallend schroffer Feindseligkeit zurück. Postkoloniales Denken gilt als genuin antisemitisch; der Dämonisierung folgt regelmäßig die Forderung nach Säuberung des akademischen und kulturellen Lebens.
…Die wichtigste Lehre aus dem Holocaust, jedes Leben als gleichwertig zu betrachten, ist dem offiziellen Deutschland fremd. Und daraus folgt eine Hierarchisierung: Sie macht heutige Palästinenser und Palästinenserinnen kolonial-historischen Opfern ähnlich, aber degradiert auch nicht-jüdische Opfer der NS-Vernichtungspolitik.

9. ARD Tagesschau: Wenig Vertrauen in deutsche Medien: Fast jeder Zweite hat wenig oder gar kein Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum Krieg in Nahost, zeigt eine ZAPP-Umfrage. Woher kommt das Misstrauen?
38 Prozent der Befragten nehmen die Berichterstattung zum Krieg als ausgewogen wahr. Aber 31 Prozent finden, deutsche Medien ergriffen zu sehr Partei für Israel. Nur 5 Prozent der Befragten sehen eine zu starke Parteinahme für die palästinensische Seite. 26 Prozent können oder wollen keine Angaben machen.
In den 15 Talksendungen der ARD, die sich mit dem Krieg beschäftigten, gab es drei Gäste mit palästinensischem Hintergrund. Deutlich mehr, nämlich zehn Gäste, hatten die israelische Staatsangehörigkeit.
Ein weiterer Vorwurf der Kritiker der deutschen Nahost-Berichterstattung: Narrative der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung oder der Armee würden in deutschen Medien immer wieder unhinterfragt übernommen. Beispiele dafür gibt es tatsächlich – in Zeitungen, in Online-Medien und auch in der tagesschau.

10. Frankfurter Rundschau: Konflikt in Gaza: Israelische „Kriegsverbrechen vor aller Augen“, sagt Ex-Diplomat.  https://www.fr.de/politik/konflikt-in-gaza-israelische-kriegsverbrechen-vor-aller-augen-sagt-ex-diplomat-zr-93255312.html
London – Mark Smith ist als Anti-Terror-Beamter der britischen Botschaft in Dublin zurückgetreten. Er könne die offensichtlichen und regelmäßigen Kriegsverbrechen in Gaza nicht länger stützen, erklärt er in einem Brief. Israel im Krieg unter Benjamin Netanyahu verstoße offensichtlich und regelmäßig gegen das Völkerrecht – auch mit britischen Waffen….Smith begründet Rücktritt mit Gaza-Krieg: „Hochrangige Mitglieder der israelischen Landesregierung und des Militärs haben ihre offene völkermörderische Absicht zum Ausdruck gebracht. Israelische Soldaten nehmen Videos auf, verbrennen absichtlich Zivileigentum, zerstören und plündern sie und geben offen zu, Gefangene verletzt und gefoltert zu haben.“

11. Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete sagt: Israels gewaltsame Invasion des Westjordanlandes ist vergleichbar mit den Anfängen des Krieges gegen Gaza: UN Rapporteur on Palestine https://www.dropsitenews.com/p/israeli-invasion-west-bank-parallels-gaza?utm_source=post-email-title&publication_id=2510348&post_id=148309688&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=a0sel&triedRedirect=true&utm_medium=email
In einem Interview mit Drop Site News sagte Albanese: „Ich sehe eine ernsthafte Parallele zu dem, was im Gazastreifen passiert“ – „Muster der Folter, der Zerstörung, der außergerichtlichen Tötungen, der Entwurzelung, die denen in Gaza sehr ähnlich sind.“
„Es ist meine Aufgabe, vor der Gefahr zu warnen, dass der Völkermord auf das Westjordanland übergreift. Dort gibt es eine ähnliche Rhetorik, ähnliche Muster und eine Eskalation der Gewalt, die ähnliche Dinge anordnet.“
Wir befinden uns in der Zeit nach 9/11“, sagte Albanese. „Daher werden Widerstandsbewegungen natürlich zuerst als terroristisch angesehen, und dann ist es sehr schwierig, diese Wahrnehmung, die so tief in der Mentalität der Menschen verankert ist, zu zerstören. Wenn also Politiker das sagen – und Journalisten es noch verstärken -, wird das die Menschen wahrscheinlich davon überzeugen, dass sie uns alle vor diesen Massen von Wilden schützen.“

12. Der israelische Journalist Gideon Levy: Elf Monate lang hat Israels Stiefel gnadenlos auf den Hals des Westjordanlandes gedrückt. Natürlich gibt es auch Terror For 11 Months, Israel’s Boot Has Mercilessly Pressed Down on West Bank’s Neck. Of Course There’s Terror – Opinion – Haaretz.com

13. Netanjahus Plan Gaza 2035: „Gaza ist nicht nichts“ https://www.pressenza.com/de/2024/08/netanjahus-plan-gaza-2035-gaza-ist-nicht-nichts/

14. Ein neues Buch: Arne Andersen, unter Mitarbeit von Johannes Feest/Sebastian Scheerer Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland? ISBN 978-3-89 900-160-0, 24,80
Die Autoren legen Grundlagen, um die Auseinandersetzungen in Deutschland um Positionen zum jüdischen Leben, um Israel und Palästina nachvollziehbar zu machen.
Der Palästinakonflikt wird von seinen Anfängen bis zum aktuellen Gazakrieg facettenreich dargestellt. Zahlreiche Fotos, Schaubilder und Tabellen erleichtern den Zugang zum Thema.

15. Der jüdisch-amerikanische Journalist Nathan Thrall hat gerade den Pulitzerpteis für sein Buch Ein Tag im Leben von Abed Salama bekommen. Einige Tage vorher sollte er in Frankfurt auftreten und wurde ausgeladen!!
Hier ist ein DLF-Interview mit ihm: Nahostkonflikt: Interview mit Schriftsteller Nathan Thrall  https://www.deutschlandfunk.de/nahostkonflikt-interview-mit-schriftsteller-nathan-thrall-dlf-bcac13b3-100.html

16. Großbritannien stoppt Waffenlieferungen an Israel. Die Süddt.Ztg. berichtet heute, dass der britische Verteidigungsminister Healy seinen israelischen Kollegen Joav Gallant telefonisch über die Beschränkung der Waffenlieferungen informiert habe, worauf dieser geantwortet habe, dies sei eine „unwillkomene“ Nachricht. Healys Kommentar: „Das ist keine Überraschung, aber manchmal sind es deine engsten Freunde, die die härtesten Wahrheiten sagen müssen.“  (Unvorstellbar, dass ein deutscher Minister so etwas in Bezug auf Israel äußern würde.)
Aber es geht noch weiter: Die Süddt.Ztg. schreibt, in Dokumenten, die die britische Regierung zur Begründung ihrer Entscheidudng vorlegte, heiße es: „Israel ist seiner Pflicht als Besatzungsmacht nicht nachgekommen, die Versorgung der Bevölkerung in Gaza mit den für ihr Überleben notwendigen Vorräten im Rahmen der verfügbaren Mittel sicherzustellen.“ Es gebe zudem „glaubwürdige Behauptungen über die Mißhandlung von Gefangenen“ und das „in einem Umfang und einer Beständigkeit“, die nahelegten, dass zumindest einige Fälle von Mißhandlungen im Widerspruch zum humanitären Völkerrrecht stünden.

(Claus Walischwski / AK Nahost)

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