„Israel will keinen Frieden, Israel will Land“, soll Avi Primor, von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland, einmal gesagt haben, was von Zeugen bestätigt wird, über eine Internetrecherche aber nicht belegt werden kann. Doch egal, ob er es so oder ähnlich gesagt hat oder nicht: Der Satz trifft den Kern dessen, was die nationalreligiöse israelische Siedlerbewegung nicht nur für den Gazastreifen propagiert.
1.
Daniella Weiss (78), als „Großmutter der Siedlungen“ in israelischen Siedlerkreisen hochverehrt, träumt von einer „ethnischen Säuberungen“ der besetzten Gebiete Gaza und Westjordanland, von jüdischer Neubesiedlung, malerischen Villenvierteln an „Gazas goldener Küste“ und von der Vertreibung des Teils der palästinensischen Bevölkerung, die den Bomben und dem Hunger mit knapper Not entkommen ist. „Gaza-Araber“, so Daniella Weiss in zionistischer Euphorie, „werden nicht im Gazastreifen bleiben. Wer dort bleiben wird? Jüdinnen und Juden“.
In der liberalen Presse wird sie als Führerin einer „extremistischen israelischen Bewegung“ präsentiert, die schon in den 70er-Jahren jüdische Siedlungen im Westjordanland und auf den Golan-Höhen errichtet hat, nun aber die Gunst der Stunde nutzen will, um den 2005 unter Ariel Sharon erfolgten Abzug der israelischen Siedler aus Gaza rückgängig zu machen. Die von ihr propagierte „Rückkehr nach Gaza“ setzt die komplette Vertreibung einer schon mehrfach vertriebenen Bevölkerung voraus, von der in Siedlerkreisen behauptet wird, sie habe das Heilige Land gegen Gottes Willen kolonisiert, weshalb es nun mithilfe der Armee befreit werden müsse. Mit der naheliegenden Frage konfrontiert, ob ein solcher Plan nicht den Tatbestand einer ethnischen Säuberung erfülle, antwortet Daniella Weiss: „Afrika ist groß, Kanada ist groß. Die Welt wird die Menschen aus Gaza auffangen.“ Und weiter in gottgegebener Selbstgerechtigkeit: „Sie können es ethnische Säuberung nennen. Normale Araber wollen nicht in Gaza leben. Wenn Sie das Säuberung oder Apartheid nennen wollen – wählen Sie Ihre Definition.“
Wie alle frommen Gewalttäterinnen und Gewalttäter gleich welcher Glaubensrichtung weiß Daniella Weiss genau, wie weit sie gehen darf: In Israel, wo die jüdische Bevölkerungsmehrheit die genozidale Kriegsführung der „moralischsten Armee der Welt“ (Netanjahu) zu über 90% befürwortet, sehr weit. Zumal sie sich mit dem einfältig brutalen Yizak Herzog auf einen Staatspräsidenten berufen kann, der schon im Oktober 2023 ein Urteil über die seit 2006 in Gaza eingepferchte Bevölkerung sprach, mit dem alle vom Säugling bis zum Greis zum Abschuss freigegeben wurden:
„Es ist nicht wahr, dass die Zivilbevölkerung nichts weiß und nicht beteiligt ist. Das ist absolut nicht wahr. Sie hätten sich erheben können. Sie hätten gegen das böse Regime kämpfen können, das den Gazastreifen durch einen Staatsstreich übernommen hat“, erklärte er, um wenig später, im Januar 2024, vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos von der globalen Dimension des israelischen Krieges gegen die Hamas zu schwadronieren: „Die Wahrheit ist: Wir kämpfen einen Krieg für das gesamte Universum, für die freie Welt“, die sich für diesen beinahe selbstlosen Einsatz gefälligst zu bedanken, also Waffen und Geld zu liefern hat, was sie auch gerne und in großen Mengen tut, weil dieser Krieg, wie Herzog es formuliert, ein „entscheidender Moment in der Geschichte der Menschheit“ sei.
Der „entscheidende Moment in der Geschichte der Menschheit“ wird immer mehr zum Alptraum für die palästinensische Bevölkerung. Ist diese zum Beispiel nach Ruanda oder – siehe Eichmann 1940 – nach Madagaskar deportiert, soll nach der berühmten Wüste auch die „Gaza“ genannte Trümmerwüste „zum Blühen gebracht“ werden, damit das Kernland Israel nicht aus allen Nähten platzt.
2.
Nach Auskunft der Jüdischen Allgemeinen vom 26.09.2020 wird damit gerechnet, „dass die Einwohnerschaft Israels von heute neun Millionen auf 13 Millionen im Jahr 2040 anwächst.“ Ob diese Zahl nach Wirtschaftskrise, Justizkrise und Dauerkrieg erreicht wird, sei dahingestellt. Fakt ist, dass mit Israel „eine allen ihren Nachbarn überlegene Militärmacht ihre elementare materielle Grundlage, also Staatsgebiet und verfügbares Staatsvolk, ausschließend gegen die vorgefundene Bevölkerung bis zum Jordan“ (Gegenstandpunkt 2/2020) ausdehnt oder ausdehnen muss, um die bestehende demografische Dominanz zugunsten der jüdischen Bevölkerung zu erhalten beziehungsweise auszubauen.
Vor diesem Hintergrund kam der Terrorangriff der Hamas den rechtsextremen israelischen Kräften, von denen manche wie die ehemalige Justiz- und Innenministerin Ayelet Shaked stolz darauf sind, als „Faschisten“ durchzugehen, gerade recht. Nach dem 07. Oktober brauchen sie keine weitere Legitimation für die ethnische Säuberung der besetzten Gebiete, die nach der Vertreibung der arabischen Bevölkerung unter der Schirmherrschaft der allzeit bereiten US-amerikanischen Israel-Lobby neu besiedelt werden sollen. Das ideologisch-demagogische Fundament für die Errichtung neuer Siedlungen, schon lange vor dem Massaker der Hamas gelegt, musste nach dem 07. Oktober nur unwesentlich radikalisiert werden.
Zum Beispiel von Generalmajor a.D. Giora Eiland, einem Mann, der dem Genozid einen „moralischen Standpunkt“ abgewinnen kann. Er entwickelte, wie das Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP) im aktuellen Newsletter BIP-Aktuell #323 schreibt, „zwei Pläne zur ethnischen Säuberung und Übernahme des Gazastreifens. Der zweite dieser Pläne, der so genannte „Plan der Generäle“, hat in Israel breite Unterstützung gefunden, und es gibt Anzeichen dafür, dass das israelische Militär damit begonnen hat, ihn umzusetzen, indem es sich bei seinen Angriffen auf den nördlichen Teil des Gazastreifens, insbesondere auf die Stadt Jabalia, konzentriert“, wobei die humanitäre Hilfe nach dem gesetzlich verhängten Arbeitsverbot für die UN-Hilfsorganisation UNRWA komplett auszufallen und die Hungerkrise für Zigtausende tödlich zu werden droht.
Dabei ist, wie das Bündnis schreibt, „der andauernde Völkermord, den Israel im Gazastreifen begeht, keine organisierte Ausrottungskampagne mit einem klaren Ziel, sondern eher eine chaotische und unorganisierte Kombination aus Luft- und Artilleriebeschuss, Aushungern als Waffe, angeheizt durch eine Kombination aus rassistischer Hetze zusammen mit einem endlosen Nachschub an Waffen, hauptsächlich aus den USA und aus Deutschland.“
Was Giora Eiland zum Gazakrieg zu sagen hat, deckt sich mit dem in Israel von Ben Gurion oder Menachem Begin kultivierten Dogma, demzufolge alle, die sich der zionistischen Expansion widersetzen, als „Wiedergänger Hitlers“ zu betrachten und zu bekämpfen sind: „Der Gazastreifen“, so der Generalmajor, „ähnelt stark dem Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs, wo fast die gesamte Bevölkerung den Führer und seine Ideologie unterstützte.“
Wer so redet, hat vom Faschismus deutscher Prägung, von seinen Ursachen und Zielen, keine Ahnung, und er will eine solche auch nicht haben, wenn es ihm nur darum geht, die Bevölkerung von Gaza zu bombardieren. Ist diese erst als Nazikollektiv stigmatisiert, kann sie auch kollektiv für die Taten der Hamas bestraft, also kollektiv ermordet werden.
In diesem Zustand erbarmungsloser Ignoranz sieht der Mann in jedem Kind, in jeder Mutter und Großmutter nur den Feind, wobei er, nebenbei gesagt, dem Gazastreifen eine Staatlichkeit verleiht, die diesem „größten Open-Air-Knast der Welt“ (Spiegel vom 18.10.2016) von Seiten Israels stets verweigert wurde: „In einer Situation, in der es um Staat gegen Staat geht, kann man dem Feind keine humanitäre Hilfe leisten, auch von einem moralischen Standpunkt aus gesehen. Wer sind denn die ›alten Frauen‹ in Gaza? Es sind die Mütter und Großmütter der Hamas-Mitglieder, die die schrecklichen Verbrechen vom 07. Oktober begangen haben.“ (aus Zvi Bar‘el: Invoking the Nazis to Justify Mass Death in Gaza, Haaretz, 21. 12. 2023)
Und weil jeder Sohn einer palästinensischen Familie ein zukünftiger Hamas-Kämpfer und jede Tochter die zukünftige Mutter eines zukünftigen Hamas-Kämpfers sein könnte, ist für Giora Eiland jedes Mittel Recht, die Zivilbevölkerung zu dezimieren, weshalb, wie er im Oktober 2023 der israelischen Zeitung Jedi’ot Acharonot verriet, auch der Ausbruch von Seuchen in Gaza sei gut für Israel, weil „schwere Epidemien im Süden des Gazastreifens den Sieg näher bringen und die Zahl der Todesopfer unter den IDF-Soldaten verringern.“
3.
Solche Sätze hört und liest man in Deutschland nicht so gerne, doch egal, ob sie gehört werden oder nicht, sie ändern nichts an einer Staatsraison, die dazu dient, die israelische Armee mit deutschen Waffen zu versorgen, nicht ohne die israelische Gewalt- und Siedlungspolitik mit folgenlosen Apellen zur Mäßigung zu kommentieren, um die eigene, humanitär gesinnte, Wählerschaft nicht zu verprellen. Die deutsche Unterstützung der israelischen Kriegsverbrechen ist dabei weniger dem geschuldet, was hierzulande gern als „Holocaust“ mythologisiert wird, als vielmehr den Verpflichtungen, die Deutschland als Nato-Partner der USA im eisernen Dreieck Washington-Berlin-Jerusalem inzwischen eingegangen ist.