Gerechter Frieden in Israel und Palästina
Dr. med. Lars Pohlmeier – Co-Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW – Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzt*innen für Soziale Verantwortung
Bremen, 16. November 2024
Ich spreche als Arzt zu Euch. Im Namen der der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW, Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Unsere ärztliche Rolle in der humanitären und politischen Arbeit besteht darin, auf der Seite der Opfer zu stehen. So habe ich es für die IPPNW formuliert.
Diese Opfer haben keine besondere Hautfarbe, sie haben keine besondere Religion und keine besondere Herkunft. Sie heißen einfach: „Mensch“. Das ist etwas, was sehr unterschiedliche Gruppen am Ende verbindet.
Es geht um den einzelnen Menschen. In der Medizin behandeln wir, ohne über „Schuld“ nachzudenken. Unser Anspruch an die Politik heißt: Brücken zu bauen – auch über scheinbar unüberbrückbare Gräben.
Es ist ein besonderes Privileg in der Medizin, Hoffnung zu geben, auch wenn die Situation hoffnungslos erscheint.
„Gerechter Frieden in Israel und Palästina“. Es ist furchtbar. Es ist vielleicht gar nicht möglich, in diesem Konflikt einen eindeutigen Beginn zu nennen für Ungerechtigkeiten, die so vielen Menschen in der Region zugefügt wurde. Welcher Blick in die Zukunft aber kann hier heilen? Voraussetzung dazu wäre die beiderseitige Anerkennung des Rechts auf Leben und Gesundheit aller betroffener Menschen. Grundlage dazu ist Rechtsstaatlichkeit, und die grundlegenden Anerkennung der Prinzipien der UN-Charta, des Völkerrechts und der Menschenrechtskonventionen.
Gleichwohl gibt es Momente der Eskalation. Und die können und müssen wir benennen. Der 7. Oktober 2023 mit dem Terrorangriff der Hamas auf vor allem jüdische Bürgerinnen und Bürger Israels war ein solcher Moment. Ohne wenn und aber verurteilen wir als IPPNW die Morde und Verbrechen und die nachfolgenden Geiselnahmen. Wir stehen an der Seite dieser Opfer.
Wir stehen als IPPNW für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Es ist Teil der Genetik unserer Organisation; und zwar seit unserer Gründung. Deswegen möchte ich hier auch deutlich sagen. Es ist unerträglich, dass jüdische Einrichtungen und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger besonderen Schutz in unserem Land bedürfen. Wir sind alle aufgerufen, dafür zu sorgen, dass das nie mehr notwendig ist.
Dies zu sagen, ist mir persönlich ein Herzensanliegen, mich hier solidarisch zu erklären.
Es ist mir zugleich ein Herzensanliegen, über das Leid der Hunderttausenden Palästinenser*innen und jetzt auch der Menschen im Libanon zu sprechen. Sie haben so viel Leid erfahren über viel zu lange Jahre.
Der Krieg, den die in Teilen rechtsradikale israelische Regierung führt, dient nicht der Befreiung der Hamas-Geiseln.
Er macht stattdessen in unerträglicher Weise Palästinenserinnen und Palästinenser, darunter Frauen, Alte und Kinder zu Opfern.
Diese Politik zu unterstützen, ist eben keine Solidarität mit Israel. Und deshalb ist es richtig zu widersprechen.
Wir können nur voller Entsetzen darauf reagieren: Medizinische Einrichtungen gelten als besonders schutzbedürftig. Doch mehr und mehr werden Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen ganz speziell Ziele von Militäraktionen.
Was bedeutet das in Gaza?
Seit Oktober letzten Jahres sind nach palästinensischen Angaben mehr als 40.000 Palästinenser*innen getötet und knapp 100.000 Menschen verletzt worden. Fast alle medizinischen Einrichtungen wurden zerstört oder beschädigt. Im Libanon wurden bislang knapp 2.500 Menschen getötet, viele davon unsere Kolleginnen und Kollegen; Helfer*innen in den verschiedenen Berufen des Gesundheitswesens.
Mit großer Bestürzung haben wir von dem Beschluss eines Verbotes des UN- Palästinenser-Hilfswerks erfahren. Das von der israelischen Knesset beschlossene Gesetz verbietet dem palästinensischen Hilfswerk jedwede Dienstleistungen auf israelischem Territorium anzubieten. Das Palästinenserhilfswerk soll ihre Aktivitäten komplett einstellen.
Die humanitäre Situation im Gazastreifen ist aber jetzt schon katastrophal und mit unvorstellbarem menschlichen Leid verbunden. Mit dem Verbot droht eine weitere Verschärfung der humanitären Krise. Es ist eine Kriminalisierung humanitärer Hilfe.
Etwa zwei Millionen Menschen sind in Gaza auf die lebenswichtige Hilfe des UN-Hilfswerkes angewiesen. Laut der britischen Hilfsorganisation Oxfam leidet eine halbe Million unter katastrophalem Nahrungsmittelmangel. Pro Person und Tag gibt es weniger als fünf Liter Wasser für Trinken und Hygiene – weit weniger als das erforderlichen Minimum für einen Menschen. Kinder sind schwer mangelernährt.
Jederzeit kann dort eine offizielle Hungersnot ausgerufen werden. Das Menschenrecht auf Leben und Gesundheit wird in Gaza täglich verletzt.
Der neue Report von Human Rights Watch spricht von 1.9 Millionen vertriebenen Palästinenserinnen und Palästinensern – mehr als 90% der Bevölkerung. Der Vorwurf an die israelische Regierung ist schwerwiegend: es handele sich um die vorsätzliche und kontrollierte Zerstörung von Häusern und ziviler Infrastruktur in Gaza durch israelische Truppen. Es geht um die Frage von Kriegsverbrechen.
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten bietet seit 75 Jahren Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Lebensmittelhilfe für die Palästinenser*innen. Eine andere Organisation, die die Erfahrung und Infrastruktur hat, um die notwendigen Hilfen zu leisten, ist nicht in Sicht.
Wie weit können Kriege noch verrohen?
Wir fordern von der Bundesregierung, sich gegenüber der israelischen Regierung dafür einzusetzen, dass das Verbot des Palästinenser-Hilfswerk der UN aufgehoben wird.
Wir müssen weiterhin unermüdlich eintreten für die Stärkung unabhängiger internationaler Institutionen. Darunter allen voran für die Stärkung der derzeit so sehr diskreditierten und marginalisierten Vereinten Nationen. Ohne die UN wird es nicht gehen.
Und ich erinnere auch daran: Auf UN-Ebene wird schon lange die latente atomare Krise in der Region als eine der zentralen geopolitischen Herausforderungen angesehen. Nicht umsonst ist die Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten lange schon ein zentrales Thema auf der internationalen Tagesordnung. Auch wenn das Atomwaffen-Abkommen mit dem Iran von den USA einseitig aufgekündigt wurde. Eine „atomwaffenfreie Zone Mittlerer Osten“ ist als Ziel seit mehr als ein Jahrzehnt verabredet, auch mit Zustimmung der Atomwaffenstaaten USA und Rußland – dies im Rahmen der völkerrechtlichen Abkommen unter dem Atomwaffensperrvertrag.
Wenn wir die Menschen in der Region nicht in den Untergang stürzen lassen wollen, müssen wir an diesen Themen arbeiten. Ja, die Situation erscheint wie eine Apokalypse.
Und dennoch: Manchmal müssen wir das Unmögliche denken, um das Unmögliche dann zu schaffen. Dafür gibt es auch jetzt eine Chance. Ich glaube daran.
Danke.