Zur Diskussion (II):
„Der DGB zum Antikriegstag 2025“
(Bernd Fischer)

Ein verspäteter Kommentar

Nachdem der Antikriegstag 2025 mit mehreren mäßig besuchten Demonstrationen und Kundgebungen über die Bremer Bühne gegangen ist, habe ich nachgeholt, was ich längst hätte tun sollen, und die Erklärung des DGB „Für eine Politik der Friedensfähigkeit! Nie wieder Krieg – in Deutschland, Europa und weltweit!“ nicht nur gelesen, sondern auch, und zwar kursiv und fettgedruckt, mit Kommentaren versehen:

Deutscher Gewerkschaftsbund: Für eine Politik der Friedensfähigkeit! Nie wieder Krieg – in Deutschland, Europa und weltweit!

Erklärung zum Antikriegstag

01. September 2025

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften setzen sich für eine Friedens- und Sicherheitsordnung ein, die im Rahmen der Vereinten Nationen multilaterale Konfliktlösungen mit den Mitteln der Diplomatie und wirksamer Krisenprävention ermöglicht. Das Fundament einer solchen Ordnung bildet das völkerrechtliche Gewaltverbot, ergänzt um die Prinzipien der souveränen Gleichheit von Staaten, der Selbstbestimmung der Völker und der freien Bündniswahl, der gegenseitigen Vertrauensbildung, der friedlichen Streitbeilegung und der Achtung der Menschenrechte.

Mit der „freien Bündniswahl“ ist der DGB ganz auf Nato-Linie, die seit 2014 behauptet, die Ukraine habe ein „Recht auf freie Bündniswahl“, Russland aber keine relevanten Sicherheitsinteressen, die von der Nato und den USA berücksichtigt werden müssen.

In Verbindung mit dem völkerrechtlich verbürgten Anspruch auf Selbstverteidigung und den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts sind es diese Grundsätze und ihre Durchsetzung, die vor 8 Jahrzehnten den Ausschlag für die UN-Gründung gegeben und die vor nunmehr 50 Jahren Eingang in die KSZE-Schlussakte von Helsinki gefunden haben. Aus gewerkschaftlicher Sicht sind diese Prinzipien als Pfeiler einer regelbasierten internationalen Ordnung unantastbar.

Hier wird zunächst das Völkerrecht bemüht, aber schon im zweiten Satz von der „regelbasierten internationalen Ordnung“ abgelöst. Wer die „regelbasierte Ordnung“ predigt, will aber genau das: Die Ablösung des Völkerrechts.

Und doch erleben wir 80 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges erneut, dass immer mehr Länder von Kriegen heimgesucht werden. Noch nie gab es seit 1945 so viele bewaffnete Konflikte wie 2025. Bis Ende des Jahres wird das weltweite Kriegsgeschehen Schätzungen zufolge mehr als 200.000 Todesopfer fordern. 120 Millionen Menschen werden durch Konflikt, Gewalt und Verfolgung gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Besonders betroffen sind Kinder. Jedes 6. Kind kommt mittlerweile aus einem Konfliktgebiet. 

Die meisten Kriegstoten haben wir in der Ukraine und im Nahen Osten, vor allem im Gaza-Streifen, zu beklagen.

60.000 zivile Tote in Gaza sind für den DGB kein Grund, ein Waffenembargo gegen Israel zu fordern. Das würde auch – Gottbewahre – Arbeitsplätze kosten, und für diese Kosten will der DGB nicht verantwortlich sein.

Aber auch außerhalb Europas und seiner Nachbarschaft toben zahllose “vergessene” Gewaltkonflikte. Ob Sahel-Zone, Sudan, Horn von Afrika oder Myanmar – über diese und viele andere (Bürger-)Kriegsschauplätze wird in unseren Medien kaum berichtet. Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung sind auch dort allgegenwärtig.

Wir erleben die Wiedergeburt einer verhängnisvollen Denk- und Handlungslogik in den internationalen Beziehungen. Sie setzt nicht mehr auf die Stärke des Völkerrechts, sondern nur noch das Recht des Stärkeren zählt.

Nach Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003 und Libyen 2011 „erlebt“ der DGB 2025 „die Wiedergeburt einer verhängnisvollen Denk- und Handlungslogik“, was zeigt, dass er das Nach-Denken, mithin das analysierende Erinnern, aufgegeben hat.

Wir fallen mehr und mehr zurück in Zeiten, in denen die Durchsetzung der eigenen Interessen mit Waffengewalt und militärische Aggression als legitimes Mittel der Politik betrachtet wird. Maßgeblichen Anteil an dieser bedrohlichen Entwicklung hat die Großmachtkonkurrenz zwischen den USA, China und Russland. In ihrem Ringen um geopolitischen und geoökonomischen Einfluss forcieren sie eine Politik der Konfrontation und Blockbildung.

Für die Europäerinnen und Europäer stellt sich zusätzlich die Herausforderung, dass auf das Schutzbündnis mit den USA kein Verlass mehr ist. Auch die Europäische Union und die europäischen NATO-Staaten laufen deshalb immer stärker Gefahr, zum Spielball rivalisierender Großmachtinteressen zu werden.

Die EU und die europäischen NATO-Staaten als Spielbälle der Großmachtkonkurrenten genießen hier das Mitgefühl des DGB, dem noch nicht aufgefallen ist, dass die Regierung Merz die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee Europas“ und Deutschland zur einer europäischen Großmacht aufrüsten will, die mit anderen Bällen, also mit schwächeren Staaten, in gewohnter imperialer Weise spielen will.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sehen deshalb durchaus die Notwendigkeit, in Deutschland und Europa die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Die dafür auf dem NATO-Gipfel in Den Haag beschlossene, horrende Erhöhung der Rüstungsausgaben auf fünf Prozent des BIP betrachten wir allerdings als willkürlich und bewerten sie äußerst kritisch.

Diese vor allem auf Druck der USA festgelegte Zielgröße bedeutet zusätzliche Rüstungsausgaben in fast unvorstellbarer Höhe. Sie würden knapp der Hälfte des gesamten Bundeshaushalts entsprechen.

Mit der Forderung nach 5% vom BIP haben die USA bei CDU/CSU und SPD offene Türen eingerannt. Schon fordert der Fraktionsvorsitzende der CDU Jens Spahn den langersehnten Zugriff auf die französische Nuklearstreitmacht, und der DGB verliert dazu kein Wort.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordert die Bundesregierung anlässlich des bevorstehenden Antikriegstages am 1. September dazu auf,

  • sicherzustellen, dass zusätzliche Rüstungsausgaben nicht zu Lasten des Sozialhaushalts, der Ausgaben für Bildung und Forschung und von Investitionen in öffentliche und soziale Infrastruktur gehen.

Die Geschichte zeigt: Ein frommer Wunsch. Wenn das der DGB nicht weiß, hat er aus der Geschichte des deutschen Militarismus nichts gelernt.

  • sich bei der Festlegung zusätzlich notwendiger Verteidigungsausgaben nicht dauerhaft an der abstrakten, sachlich unbegründeten und völlig überhöhten NATO-Zielvorgabe von fünf Prozent des BIP zu orientieren. Stattdessen muss sich jede Ausgabensteigerung an den tatsächlich bestehenden Ausrüstungs- und Kapazitätsbedarfen bemessen.

Wer bemisst? Ganz sicher nicht der DGB.

Zu rechtfertigen sind zusätzliche Rüstungsausgaben nur in dem Umfang, der die Bundeswehr wirklich dazu befähigt, ihren grundgesetzlichen Auftrag zur Landesverteidigung und ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen.

Landesverteidigung am Hindukusch und Bündnisverpflichtung wie nach 9/11? Der DGB schreibt hier eine Rede für Pistorius. Dessen Forderung, Deutschland müsse „kriegstüchtig werden“, wird gar nicht erst erwähnt, muss also vom DGB auch nicht kritisiert werden.

  • ihren nun eingeschlagenen sicherheitspolitischen Kurs grundlegend zu korrigieren. Die Bundesregierung muss sich aktiv dafür einsetzen, dass die sich immer schneller drehende Aufrüstungsspirale endlich gestoppt wird. Statt einseitig auf militärische Abschreckung zu setzen, müssen diplomatische Initiativen zur Aufrechterhaltung und Wiederbelebung der multilateralen Ordnung wieder viel stärker in den strategischen Mittelpunkt rücken. Kontraproduktiv sind in diesem Zusammenhang die von der Bundesregierung geplanten massiven Haushaltskürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit und bei der humanitären Hilfe. Sie müssen dringend rückgängig gemacht werden.

Dabei geht es auch darum, durch Deutschlands Beitrag Europas eigenständige Rolle als internationale Friedensmacht zu stärken – eine Friedensmacht, die sich geschlossen für eine Politik der Gewaltfreiheit und globale Kooperation einsetzt, aktiv Ansätze zur diplomatischen Konfliktlösung vorantreibt und neue Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und Rüstungsexportkontrollinitiativen auf den Weg bringt.

Wenn der DGB „Europas eigenständige Rolle als internationale Friedensmacht“ stärken will, setzt er voraus, dass die EU eine solche Rolle schon spielt, zumindest aber anstrebt. Wie er das mit einer Kommissions-Präsidentin von der Leyen machen will, kann er uns gern erklären.

Wir brauchen in Europa ein klares gemeinsames Bekenntnis, worum es uns bei der Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit eigentlich geht – nämlich um die Verteidigung unserer liberalen Demokratie und unseres Modells der Sozialen Marktwirtschaft.

Was beinhaltet „unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft“, wie sozial ist ihre Praxis, und was an ihr ist von der Gewerkschaft zu verteidigen? Fragen über Fragen, die der DGB lieber nicht beantwortet.

Nach außen müssen wir dieses gemeinsame Modell nicht nur gegen die unmittelbare militärische Bedrohung durch Russland verteidigen, sondern auch gegen den autokratischen Staatskapitalismus Chinas und den Big-Tech-Radikalkapitalismus US-amerikanischer Prägung behaupten. Nach innen müssen wir unsere Demokratie schützen vor dem wiedererstarkenden Nationalismus und Rechtsextremismus.

Der DGB sieht also eine „unmittelbare militärische Bedrohung durch Russland.“ Die sehen Klingbeil und Pistorius auch und fordern 5% vom BIP für die Rüstung. (Nicht nur) der DGB steht argumentativ mit leeren Händen da, wenn er zu feige ist, das Gerede von der „unmittelbaren militärischen Bedrohung durch Russland“ als Bedrohungslüge zu entlarven.

Das Vertrauen in unsere Demokratie und in unser Wirtschafts- und Sozialmodell hängt maßgeblich ab von starken sozialen Sicherungssystemen, von einer gut ausgebauten öffentlichen Daseinsvorsorge, von einem leistungsfähigen Bildungssystem und von einem aktiv gestaltenden Staat, der massiv in die Zukunft investiert. All das macht wesentliche Elemente unseres Modells der Sozialen Marktwirtschaft aus, das im internationalen Systemwettbewerb zugleich unser größter Standortvorteil ist.

Kapitalismus allerorten, nur der gute und soziale wird in Deutschland praktiziert. Mit BlackRock an der Spitze gewinnen wir den nächsten „internationalen Systemwettbewerb“, und der DGB macht die sozialpartnerschaftliche Musik dazu.

Rüstungsausgaben in einer Höhe, die massiv auf Kosten der öffentlichen Finanzierung all dieser (sozial-)staatlichen Aufgaben gehen, stärken nicht unsere Verteidigungsfähigkeit, sondern bewirken das Gegenteil: Sie erhöhen die Angreifbarkeit unserer Demokratie von außen und innen.

Auch das noch: Erhöhte Rüstungsausgaben erhöhen nicht die Kriegsgefahr, sondern „die Angreifbarkeit unserer Demokratie von außen und innen.“ Das, lieber DGB, war eine gelungene Einstimmung zum Antikriegstag 2025!

Es ist höchste Zeit für eine Rückbesinnung auf die Werte der Charta der Vereinten Nationen und die Prinzipien der KSZE-Schlussakte von Helsinki! Friedensfähig zu sein ist das Gebot der Stunde!

Immerhin, hier setzt sich der DGB mit der Forderung nach „Friedensfähigkeit“ von den Gewerkschaftsmitgliedern Klingbeil und Pistorius ab. Sie werden es ihm verzeihen.

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