Zur Diskussion (I):
„Offener Brief an das Bremer Friedensforum“
(Peter Sörgel)

Liebe Freundinnen und Freunde,

Der Ukrainekrieg hat die Welt verändert. Der 22. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende. Nichts ist mehr wie zuvor.

Der „unprovozierte und durch nichts zu rechtfertigende russische Angriffskrieg“ hat zu beispiellosen Reaktionen geführt: Die EU hat 18 Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Putin ist das personifizierte Böse, gegen den der „wertegeleitete Westen“ die Demokratie verteidigt. Der genozidale Krieg der Netanjahu- Regierung gegen Palästinenser wird hierzulande ausgeblendet. Die EU bereitet sich auf einen Krieg mit Russland vor und erhöht die Militärausgaben in beispielloser Weise. Die Initiativen der USA, den Ukraine Krieg zu beenden, werden von beinahe allen europäischen Regierungen sabotiert. Fehlende Waffenlieferungen aus der USA sollen von der EU ausgeglichen werden. Deutschland will die führende Militärmacht auf dem Kontinent werden. Dass andere große Länder einer „wertegeleiteten Weltordnung“ überdrüssig sind, nehmen die europäischen Eliten nicht zur Kenntnis. Auf allen Ebenen findet diese Auseinandersetzung statt. Die völkerverbindende Rolle von Sport hat ausgespielt, Kultur dient nicht mehr der Völkerverständigung, selbst Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Niederlage des Faschismus werden unterbunden, Geschichte wird umgeschrieben.

Die etablierten Parteien in der BRD stellen sich nicht gegen, sie verstärken diese Entwicklung. Bedroht von einer immer stärkeren AfD, in der Millionen Wähler eine Alternative sehen. Linke Parteien sind zerstritten. Die Kirchen kämpfen gegen einen massiven Bedeutungsverlust und die Industriegewerkschaften haben alle Hände voll zu tun, Arbeitsplatzverlust und Betriebsschließungen zu verhindern. Die Leitmedien haben ihre Rolle als Korrektiv politischer Entscheidungen aufgegeben. Der Kriegsstrudel dreht sich immer schneller. Nicht nur Militärexperten, sondern auch deutsche Politiker bereiten sich auf einen Krieg gegen die Atommacht Russland vor. Nichts scheint diese verhängnisvolle Entwicklung stoppen zu können. Noch nie nach dem 2. Weltkrieg hat es eine derartige Verhärtung des politischen Klimas in der BRD gegeben; nicht einmal im Kalten Krieg.

Worum geht es also? Alles zusammenzubringen, was gegen diese verhängnisvolle Entwicklung Front macht! Das gilt natürlich auch für uns in Bremen.

Persönliche Bindungen und politische Verbindungen sind über die Coronamaßnahmen und den Ukrainekrieg zerbrochen. Die über viele Jahre geübte konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Bremer Friedensforum und den Einzelgewerkschaften ist gestört. Mühsam und von vielen Rückschlägen begleitet geht es darum, Misstrauen abzubauen, wieder aufeinander zuzugehen, gemeinsam diplomatische Lösungen zu fordern, wenn es um Krieg und Frieden geht. Von „ganz unten“ muss wieder Vertrauen aufgebaut werden.

Das ist alles andere als einfach. Das Bremer Friedensforum wollte auf der Antikriegs – Kundgebung am 1. September einen Redner stellen. Die Einzelgewerkschaften haben das in einer DGB-Sitzung Mitte August abgelehnt, wohl aber eine Beteiligung des „Friedensforum“ und des Vereins „Die Schwelle“ bei einer anschließenden Abendveranstaltung beschlossen. Beide Veranstaltungen drehten sich um das brandheiße Thema Wehrpflicht.

Wie verliefen diese Veranstaltungen? Der Bremer DGB-Vorsitzende Ernesto Harder verurteilte in der Kundgebung auf der Altmannshöhe die Steigerung des Rüstungshaushalts, der Vertreter des Verbands der Kriegsdienstverweigerer hielt eine kämpferische Rede gegen die Einführung der Wehrpflicht. Leider vor zu wenig Teilnehmern!

Die Abendveranstaltung im Gewerkschaftshaus unter dem Motto „Wehrpflicht reaktivieren? Nein!“ war ein voller Erfolg. Alle Rednerinnen und Redner haben sich konstruktiv beteiligt und Handlungsperspektiven entwickelt unter dem Motto „Was können wir – trotz unterschiedlicher Einschätzungen – gemeinsam tun“. Auch Barbara Heller und Wilfried Meyer als Vertreter des Friedensforums.

Insgesamt ein wichtiger Schritt hin zu gemeinsamen Aktionen in Bremen.

Zu meiner Überraschung sieht das Bremer Friedensforum das anders. Angesichts von drei Demonstrationen verschiedener Träger am Antikriegstag wird folgende Schlussfolgerung gezogen:

„Dabei stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine Grundlage für künftige gemeinsame Aktionen gibt. Können Pazifisten und Antimilitaristen auf der einen Seite und Befürworter von Aufrüstung und Rüstungsexport in kriegführende Länder auf der anderen Seite einen gemeinsamen Nenner finden?

Die zentrale Erklärung des DGB befürwortet die Aufrüstung und bittet, dass sie nicht zulasten der Arbeitnehmer gehen soll.“

Man kann einiges an der Erklärung des DGB-Bundesvorstands kritisieren. Aber sie deshalb

zu diskreditieren, weil sie die Kritik an den immens gestiegenen Rüstungsausgaben mit den Kürzungen der Sozialleistungen verbindet, ist daneben. Ich teile hier die Meinung von Walter Ruffler:

„Ich finde, der Text des DGB ist zwiespältig. Einiges ist gut, anderes nicht. Gut sind z.B.

  • der Titel: „Für eine Politik der Friedensfähigkeit!“
  • die Kritik der Rüstungsausgaben: „Diese vor allem auf Druck der USA festgelegte Zielgröße (von 5%, W.R.) bedeutet zusätzliche Rüstungsausgaben in fast unvorstellbar Höhe. …“
  • Orientierung der Rüstungsausgaben an tatsächlich bestehenden Bedarf,
  • der DGB fordert die Bundesregierung auf, „ihren nun eingeschlagenen sicherheitspolitischen Kurs grundlegend zu korrigieren“
  • „Die Bundesregierung muss sich aktiv dafür einsetzen, dass die sich immer schneller drehende Aufrüstungsspirale endlich gestoppt wird.“
  • „diplomatische Initiativen zur Aufrechterhaltung und Wiederbelebung der multilateralen Ordnung“,
  • Deutschland als „internationale Friedensmacht“, die sich einsetzt „für eine Politik der Gewaltfreiheit und globale Kooperation“, „aktiv Ansätze zur diplomatischen Konfliktlösung vorantreibt und neue Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und Rüstungsexportkontrollinitiativen auf den Weg bringt“,
  • der DGB fordert „starke soziale Sicherungssysteme“, und eine „gut ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge“.

Man kann diese Beschlüsse unzureichend nennen. Aber was gar nicht geht: Im obigen Leitartikel des Forums wird den Teilnehmern und Rednern unterstellt, sie hätten „Aufrüstung und Rüstungsexport in kriegführende Länder“ befürwortet. Das ist unverfroren.

Mehr noch und vor allem: Auf der Website des Bremer Friedensforum wird gar nichts Inhaltliches zu den DGB- Veranstaltungen am 1. September gesagt. In der Abendveranstaltung wurden Vorschläge für Aktionen gegen die Wehrpflicht entwickelt. Nichts davon steht auf der Webseite. Stattdessen finden sich Reden und beleidigende Kommentare des „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ und der „Marxistisch Leninistischen Partei Deutschland“ (MLPD) . Eine Fokussierung auf diese selbsternannten „Kaderparteien“ ist ein Irrweg. Heute ist kein Platz für jegliche Revolutionsromantik aus den siebziger Jahren. Die Einzelgewerkschaften und ihren Dachverband als „Gegner“ auszumachen, ist schädlich und abstoßend.

In den DGB – Gewerkschaften sind 5,6 Millionen Mitglieder organisiert; in der IG Metall sind es über 2 Millionen. Die Gewerkschaften in der BRD sind kampfkräftig und wirkungsmächtig, wie auch die Tarifabschlüsse zeigen. Wir müssen darum ringen, dass sie sich wieder für Frieden in Europa und der Welt einsetzen. Denn es gilt: „Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, kann glaubhaft Frieden fordern?“

Bremen, 8.9.2025 Peter Sörgel

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