
von Angelina Sörgel
Am 31. Juli dieses Jahres hat Éva Péli das Buch von Stefan Luft (Herausgeber und Autor), Jürgen Wendler und Jan Opielka „Mit Russland. Für einen Strategiewechsel“ in den Nachdenkseiten besprochen und über eine Lesung in Berlin berichtet. Sie wurde eröffnet von Günter Verheugen, der für dieses Buch ein Vorwort verfasst hat, war gut besucht, und es gab eine lebhafte Diskussion um den richtigen Weg zum Frieden.
Die großen deutschen Zeitungen haben – bis auf die Berliner Zeitung – das Buch nicht zur Kenntnis genommen. Besprechungen tauchten ausschließlich in der alternativen Szene auf: Ein Hinweis in der Weltwoche vom 19. Juli, ein Bericht bei apolut am 23. Juli, ein Bericht in Transition News am 27. Juli, ein Interview im KONTRAFUNK am 30. Juli, die Besprechungen in den Nachdenkseiten vom 31. Juli und vom 10. August, ein Auszug aus dem Buch bei Manova am 14. August, ein Interview mit dem Overton Magazin am 19. September, eine lokale Besprechung im Bremer Friedensforum, Nachdenken- in- Bremen und dem Verein Deutsch- Russische Friedenstage in Bremen zwischen 1. und 20. September und schlussendlich eine Besprechung von Peter Brandt in der Zeitschrift Cato, Heft 6/2025.
Der Autor Stefan Luft lebt in Bremen. Er war dort viele Jahre unter der Großen Koalition von Henning Scherf als stellvertretender Senatssprecher, auch als Sprecher für verschiedene Ressorts tätig, hat in Bremen habilitiert, und anschließend lange Zeit als Privatdozent an der Universität Bremen gearbeitet. Jürgen Wendler war über viele Jahre als Journalist beim Weser-Kurier beschäftigt, der größten Zeitung Bremens. Nichts lag näher, als auch in Bremen eine Lesung zu veranstalten. Kein Gedanke daran, zu welcher Peinlichkeit sich das auswachsen würde!
Bremen hat bisher eine Tradition als linksliberale Kommune; Stadt und Land werden regiert von einem Bündnis aus SPD, Grünen und Linken. Man sollte meinen, das wäre ein gutes Pflaster für einen Disput über den Ukrainekrieg und die vielen Fragen, wie man ihn auf diplomatischen Wegen beenden könnte. Aber es fand sich keine der drei Regierungsparteien oder ihnen verwandte Stiftungen, die eine solche Lesung durchgeführt hätten.
Das „Bremer Friedensforum“ griff die Sache auf. Der bremische Innensenator Ulrich Mäurer erklärte sich bereit, auf der Lesung des Buches durch die drei Autoren, die das Bremer Friedensforum veranstalten wollte, ein Grußwort beizusteuern.
Die Lesung sollte am 19.September im „Bremer Presseclub“ veranstaltet werden; die Ankündigungen waren schon gedruckt. Was geschah? Zunächst zog der Innensenator seine Zusage zurück, schweren Herzens. Aber offensichtlich war der Druck durch den Bremer Senat zu stark und die Furcht in der Führung des Stadtstaats vor der Presse zu groß, um politische Risiken eingehen zu wollen. „Ulrich Mäurers Luftnummer“, titelte deshalb die TAZ, „Bremen SPD – Innensenator zieht ein Grußwort für das Buch „Mit Russland“ zurück. Dessen Hauptautor ist ein alter Bekannter ohne Russland – Expertise“ und „Innensenator bleibt Buchvorstellung fern.“. Das war inhaltlich gleichauf mit der Schlagzeile der Bild-Zeitung dazu: “Er hat gerade noch die Kurve gekriegt.“
Im Interview im Regionalfernsehen „ buten un binnen“ zeigte sich der TAZ-Redakteur Benno Schirrmeister außerordentlich selbstzufrieden, dass es ihm durch einen längeren Fragenkatalog, den er zuvor an an Herrn Mäurer geschickt hatte, gelungen sei, diesen von der Veranstaltung fernzuhalten. Zur bildhaften Unterstreichung der Macht der Presse wurde in dem Fernsehbericht ein kurzer Ausschnitt von seinen Fingern gezeigt, wie sie sinnend über der Tastatur schweben… Diesen Ruhm macht ihm allerdings die BILD-Zeitung streitig, denn sie hatte schon drei Tage vorher vermerkt: „Nach BILD-Anfrage abgesagt.“ Kaum wurde das bekannt, war auch der „Bremer Presseclub“ nicht mehr bereit, seinen Saal zur Verfügung zu stellen.
Die Absage erfolgte überraschend, nur einen Tag vor der Veranstaltung. Laut seiner Selbstdarstellung ist der Presseclub ein Ort, wo “Debatten entstehen, Ideen und neue Perspektiven – leidenschaftlich, kritisch und immer im Dialog.“ Die Begründung der Vereinsvorsitzenden gegenüber dem Regionalfernsehen „buten un binnen“ lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass der Presseclub schließlich ein privater Verein wäre und die Freiheit hätte, zu entscheiden, wer bei ihm auftreten könnte und wer nicht. Frau Röhling, die Vorsitzende, wies darauf hin, dass das Buch durchaus in jedem Raum vorgestellt werden könne (in ihren Worten: „nicht nirgendwo“), aber eben nicht in ihrem Saal. An der Dialogfähigkeit des Vereins müssen jetzt wohl gelinde Zweifel angemeldet werden; hätte man nicht gerade ein Buch, dass wie dieses zur Debatte herausfordert, andere Seiten beleuchtet und neue Perspektiven auftut, als Denkanstoß begrüßen müssen? Es wurde von der Vorsitzenden auch kurz die Möglichkeit gestreift, dass die Veranstaltung gestört werden könnte; auf Nachfrage stellte sich allerdings heraus, dass es keinerlei Hinweise darauf gab und es sich nur um eine Ausflucht handelte. Nun, es fand sich eine Alternative, ein Veranstaltungssaal der Kirche „Die Christengemeinschaft“; die Veranstaltung, von Barbara Heller vom Friedensforum eingeleitet, war sehr gut besucht mit rund 150 Teilnehmern. Lakonisch dankte Luft Presse und Senat für die erfolgreiche Werbung… In den Tagungsraum des Presseclubs passen nur 50 Leute, in den Club 27 ebenda maximal 80.
Es wurde im Anschluss an die vier Referenten – die drei Autoren und Arno Gottschalk, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft – mit viel Engagement diskutiert. Und es stellte sich heraus, dass Jan Opielka, der eigens aus Polen gekommen war, nicht nur ein guter Journalist ist, sondern auch Gitarre spielt, Friedenslieder verfasst und vorgetragen hat. Gab es eine Berichterstattung in der Regionalpresse? Ih wo! Was es aber gab, war am Tag zuvor eine abfällige Buchbesprechung in der TAZ unter der Überschrift „Rückenwind für Putins Lügen“, die den Autoren „zersetzende Propaganda“ vorwarf. „Zersetzende Propaganda“, das ist ein Begriff, der zuerst im ersten Weltkrieg auftauchte, in der Weimarer Republik auf kommunistische Agitatoren angewendet wurde, unter den Nationalsozialisten zu neuer Blüte kam, um politische Gegner zu diskriminieren und zu kriminalisieren, in der DDR es bis ins Strafgesetzbuch schaffte – zersetzende Propaganda gegen den Sozialismus – und schließlich auch in der Bundesrepublik seinen Weg in den Kalten Krieg fand. Wie schön, dass ausgerechnet die TAZ ihm zu neuer Aktualität verhilft.
Ein linguistischer Baustein zur geistigen Kriegsertüchtigung! Der Bericht wurde begleitet von einem ebenso abträglichen Kommentar der Leiterin des in Bremen angesiedelten Osteuropa Instituts Susanne Schattenberg. Er mündet in die Konsequenz: „Im Kreml dürfte man über dieses Buch begeistert sein; in Deutschland ist es brandgefährlich, weil es Putins Lügen salonfähig macht.“ Es ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten, dass einer der großen Vorwürfe an das Buch dabei lautet, dass es sich gar nicht mit Russland beschäftigen würde, obwohl es doch „mit Russland“ heißt!? Und Russland käme gar nicht vor! Die TAZ verstieg sich sogar so weit, dass sie ein Foto von Butscha einstellte und titelte: „Wie soll ein Buch, das Leichen übergeht, für Frieden sorgen?“ „Mit Russland“, das ist die Parole von Willy Brandt und Egon Bahr, in der sie die neuen Herausforderungen der Entspannungspolitik griffig zusammengefasst hatten:“ Frieden, Stabilität und Sicherheit in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“ Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender und Finanzminister aus einer Hand, hat es im Oktober 2022 für überholt erklärt: „… Dieser Satz hat keinen Bestand mehr. Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“ (19. Oktober 2022). Eine „Zeitenwende“ sei eingetreten. Die gibt es: Der Fraktionsvorsitzende der SPD in der Bremischen Bürgerschaft hat vor einigen Tagen Herrn Dobrindt, den Innenminister, darum gebeten, dass in Bremen das geplante Drohnen-Kompetenzzentrum errichtet werden solle; Bremen sei ja bereits ein prominenter Rüstungsstandort und „Kompetenz- Hotspot“ für Drohnenabwehr. Und zudem besonders gefährdet (Spiegel online v.04.10.). Friedrich Merz wurde durch den Bürgermeister begeistert in Empfang genommen, als er den Überseehafen in Bremerhaven besichtigt hat, den, wie der Kanzler betonte, „ …wichtigsten Umschlagplatz auch für die Militärgüter.“ und einer Eurofighterübung im Bremer Airport einen Überraschungsbesuch abstattete. (WK v.8.10.)
„Mit Russland“ ist nun ein Buch, dass sich mit dieser deutschen und europäischen Außenpolitik, dem drohenden Verfall des demokratischen Führungsanspruchs des Westens, dem einseitigen Bellizismus von Politik und Presse auseinandersetzt, ein Buch, das versucht, gegenüber der perspektivlosen und gefährlichen Kriegspolitik Perspektiven ihrer Überwindung aufzuzeigen. Es geht darum, in Deutschland ein Klima wiederherzustellen, dass diplomatische Schritte ermöglicht; es geht nicht darum, die russische Regierung auseinander zu nehmen. Verhandeln müssen wir mit Russland so oder so, denn ganz egal, wie es regiert wird, so ist und bleibt es doch immer Teil unseres Kontinents; ein dauerhaft friedliches Europa können wir nur gestalten unter Einbezug Russlands. Eine Erkenntnis, die die SPD unter Willy Brandt gegen den heftigsten Widerstand durchgesetzt und damit den Frieden in Europa und Deutschland für lange Zeit gesichert hatte. Und das Osteuropa Institut macht sich vom Bock zum Gärtner: Wie oft ist Russland schon totgesagt worden, gerade von denjenigen Kräften, die an einer Fortsetzung des Krieges interessiert sind? Angefangen bei den Ersatzteilen aus den Waschmaschinen über die Mangelwirtschaft für die angeblich notleidende Bevölkerung bis hin zu vermeintlich desertierenden Soldaten und den Zusammenbruch der russischen Front – überaus ‚präzise Analysen‘ über die Lage in Russland wurden und werden uns serviert.
Als ob das alles nicht Skandal genug wäre, es tauchte sozusagen aus dem Nichts nach einer Fernsehdebatte 2024 ein Wikipedia Eintrag zu Stefan Luft auf. Zu den ersten zwei unumstößlichen Grundsätzen von Wikipedia gehören: „Wikipedia ist eine Enzyklopädie. Beiträge sind so zu verfassen, dass sie dem Grundsatz des neutralen Standpunkts entsprechen.“ Dem entspricht dieser Beitrag ganz und gar nicht. Lufts Vita wird verkürzt dargestellt, und von seinen zwölf aufgeführten Veröffentlichungen wird ausschließlich das hier besprochene Buch vorgestellt: Es wird die Besprechung in der TAZ zitiert und auch der Kommentar von der Leiterin des Osteuropa Instituts. Alle anderen, durchweg positiven Besprechungen über das Buch fallen unter den Tisch. Unter dem (zweiten) Stichwort Kritik findet sich dann noch ein Hinweis auf besagte Phoenix Runde vom 10. Juli 2024 zum Thema „Zwischen Rüstung und Diplomatie. – wie kann die NATO den Frieden sichern?“, in der Stefan Luft als Vertreter einer abweichenden Meinung nach Ansicht des Wikipedia Lexikons „zur Ordnung gerufen werden musste“ durch die Diskussionsleiterin Anke Plettner. Der Wikipedia Beitrag mündet in die Fragestellung: „All das wirft zunehmend Fragen auf über die Möglichkeit wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit Stefan Luft.“ Wo bleibt hier der neutrale Standpunkt? Der Artikel ist absolut einseitig. – Vor lauter Aufregung der Wikipedia – Autoren taucht sogar der Untertitel „Kritik“ gleich zweimal in dem Wikipedia Eintrag zu Stefan Luft auf.
Was gegen die Wikipedia-Regeln verstößt. – In der TAZ heißt es sogar: „Der Hannoveraner (gemeint ist Luft) war Ende des vergangenen Jahrhunderts als Spindoktor des offen homophoben „Law and Order“- Innensenators Ralf H. Bortscheller in die Bremer Landespolitik gekommen. Der hatte später gesondert strafrechtlich verfolgt werden müssen.“ (im bereits zitierten Beitrag in der taz vom 08.09.2025). Nun war Herr Bortscheller sicher sehr konservativ, aber 1999 war nicht 2025, was die Frage der Homophobie betrifft, und vor allem hat Stefan Luft ganz offensichtlich nichts damit zu tun, dass Bortscheller 2004 ein Problem mit der Justiz hatte; Bortscheller schied 1999 aus dem Senat aus und Stefan Luft war 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen. Ich nenne diese Darstellungen einen üblen Rufmord! Und, was Wikipedia betrifft, auch ausgesprochen peinlich für ein Lexikon. Vielleicht fällt einem der Administratoren dieser Umstand noch auf, hoffen wir’s. Alles in allem, man gewinnt den Eindruck, dass es sich gradezu um eine Kampagne handelt.
Auch werden die anderen Autoren, an erster Stelle Günther Verheugen, aber auch die interessanten und zudem originellen Beiträge der anderen beiden, überhaupt nicht erwähnt. „Mit Russland“ ist weder rechtsextrem, geschweige denn linksextrem. Der erste Beitrag mündet in die Forderung, die UN-Charta mit neuem Leben zu erfüllen, der zweite Beitrag mahnt die Rückkehr zum demokratischen Diskurs und einer bürgernahen Politik an und der dritte spricht die Hoffnung aus, dass Osteuropa und vorneweg Polen trotz ihrer geschichtlichen Erfahrungen zu vermittelnden Friedensmächten in Mitteleuropa würden. Gemeinsam haben alle Beiträge den Wunsch nach Frieden, nach der Abkehr von einer realitätsblinden, durch Glaubenssätze statt Vernunft gesteuerten Politik und Propaganda. Wie der Bremer Innensenator gegenüber der Presse äußerte: „Alle Überlegungen, die zum Ziel haben, diesen furchtbaren, völkerrechtswidrigen Krieg zu beenden, sind es wert, durchdacht und diskutiert zu werden.“