Rede von Gerhard Baisch (Rechtsanwalt)
auf der 37. Gaza-Demo in Bremen am 1.6.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich danke Euch, dass ich hier als Mitglied des Bremer Friedensforums zu Euch sprechen kann.

Ich war im Jahr 2000 und wieder 2010 für einige Zeit in Israel, 2 Wochen auch in einer Familie in der arabischen Stadt Tamra in der Nähe von Haifa. Dort habe ich die täglichen Zurücksetzungen hautnah erlebt, wie die benachbarten Siedler plötzlich mit dem Gewehr im Anschlag den Zugang zu den eigenen Feldern versperrten, oder in Jerusalem das Militär grundlos den Gläubigen den Zugang zum Freitagsgebet auf dem Haram verweigerten. Auch ich wurde wütend über die Serie von Demütigungen, über das völlig zweigeteilte System, mit Straßen, die nur die einen nutzen durften,über Schikanen an den Kontrollpunkten. Immer wieder wurde man bei gemeinsamen Unternehmungen mit den arabischen Freunden als Mensch 2.Klasse behandelt die Grunderfahrung von Apartheid. Ich verstand damals, dass sich die ethnische Säuberung Palästinas, die systematische Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat, nicht beschränkt auf die Zeit der Nakba, sondern ein Programm aller Regierungen Israels geblieben ist. Heute sind Vertreibungsmaßnahmen überall in Palästina zu sehen, von Ostjerusalem bis in den Negev, im Westjordanland und vor allem und total in Gaza.

Seit dem Wahlsieg der Hamas im Gaza im Jahr 2006 und der vollständigen Abriegelung durch Israel in 2007 ist Krieg im Gaza. Nicht genug, dass die Menschen unter der illegalen Blockade und dem Eingesperrtsein leiden. In immer neuen Angriffswellen kommt es zu Kriegen, mal tagelang, dann wochenlang und nun seit über 7 Monaten, mit unvorstellbar schrecklichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, der Zerstörung fast aller Wohngebäude und der für das Zusammenleben notwendigen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Moscheen und Schulen.

Angefangen hat es im September 2007: damals erklärte Israel den Gaza-Streifen zur „feindlichen Entität“, zum feindlichen Etwas. Die Lebensbedingungen wurden seither gezielt immer mehr verschlechtert. Gaza sollte wirtschaftlich ruiniert und unbewohnbar werden.

Schon der erste Gaza-Krieg 2008 zeigte, wie sich Israel keinen Deut kümmert um die wichtigste Garantie des Kriegsvölkerrechts: den unbedingten Schutz der Zivilbevölkerung; nur Kämpfer dürfen angegriffen werden. Wir erinnern uns: am 27. Dezember 2008 begann die israelische Armee ohne Vorwarnung ein vernichtendes Bombardement des Gazastreifens, dem sie den Codenamen „Gegossenes Blei“ gab. Ziel dieser Operation war das Ende des Raketenbeschusses durch bewaffnete Gruppen, insbesondere der Hamas. Als nach 3 Wochen der Waffenstillstand ausgerufen wurde, waren 1.400 Palästinenser tot, darunter 300 Kinder und Hunderte von unbewaffneten Zivilisten. 1.600 Kinder und über 800 Frauen wurden verwundet. Ganze Bereiche des Gazastreifens waren damals bereits dem Erdboden gleichgemacht worden. Tausende wurden obdachlos und wirtschaftlich ruiniert. Die eklatante Assymetrie des Krieges zeigte sich vor allem bei den Todesopfern: auf israelischer Seite starben insgesamt 10 Soldaten und 3 Zivilisten.

Die Welt war damals schon aufgebracht über die offensichtliche Verletzung des Völkerrechts durch die israelische Armee. Die UNO veranlasste eine ausführliche Untersuchung, den GoldstoneBericht, der auf 500 Seiten die einzelnen Kriegsvorgänge analysierte und der Hamas, aber vor allem Israel zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht nachwies, u.a. die Anwendung des Dahiya-Prinzips: danach macht die israelische Armee jedes Stadtviertel dem Erdboden gleich, wenn vermutet wird, dass von dort aus Terroristen auf Israel schießen – ein offensichtliches Kriegsverbrechen. Israel wies aber alle Kritik vehement zurück, berief sich auf das Selbstverteidigungsrecht und beschimpfte die 4 Verfasser des Berichts als Antisemiten. Es konnte aber nicht verhindern, dass die UNO-Vollversammlung den Bericht mit großer Mehrheit annahm.

Israel hat ungeachtet aller Proteste nach 2008 und bis 2021 immer wieder Gaza bombardiert und versucht, die Hamas militärisch zu vernichten. Durch die rücksichtslose Kriegsführung und totale Abriegelung wurde der Gazastreifen zu einem Ort, der nicht mehr zu einem menschenwürdigen Leben taugt: völlig zerbombt, oft ohne Strom, ohne funktionierende Wasserund Abwasserversorgung, mit einem Minimum an Lebensmitteln und kaum Materialien für den Wiederaufbau. Versuche aus der internationalen Solidarität, die Blockade durch Hilfe von der Seeseite her aufzubrechen, wurden im Ansatz verhindert. Ich erinnere nur an die Kaperung der Gaza-Flotilla in internationalen Gewässern.

Auch jetzt stehen wir fassungslos dabei, wie die Armee Israels Woche um Woche die Zerstörung Gazas vorantreibt und die Milionen Menschen dort nur noch als Hindernisse ihrer Zerstörung wahrnimmt, die man ausgebombt ohne Schutz und ausreichende Nahrung hin und her schieben kann, völlig desinteressiert an ihrem nackten Überleben.

Gestern vor einer Woche hat der Internationale Gerichtshof zum dritten mal seine vorläufigen Maßnahmen zur Verhinderung eines Völkermords verschärft und Israel aufgefordert, sofort alle Maßnahmen im Bereich Rafah zu stoppen, die – im verklausulierten JuristendeutschLebensbedingungen auferlegen, die zur teilweisen oder vollständigen Vernichtung der Bevölkerung führen könnten. Könnten?? Es findet ja längst statt !

Netanjahu macht ungerührt weiter. Als Antwort auf den jüngsten Beschluss des IGH wurde in Rafah 2 Tage später ein Zeltlager mit Raketen angegriffen. Wieder starben Frauen und Kinder. Der internationale Protest wächst, aber nicht entschieden genug. Und Deutschland? Für mich ist es beschämend, dass unsere Regierung Israels Krieg gegen Gaza nicht kritisiert; dass sie nicht bereit ist, dem Beispiel von Norwegen, Irland und Spanien zu folgen und Palästina als Staat anzuerkennen; dass statt dessen weiter Waffen nach Israel geliefert werden; dass unsere Regierung sich sperrt gegen die Aufnahme Palästinas als Mitglied der Vereinten Nationen.

Israel hat offensichtlich keine Strategie für die Gestaltung der Beziehungen zu den Palästinensern in Ostjerusalem, in Gaza und der Westbank. Militärisch lässt sich der Konflikt aber nicht beenden. Die Menschen werden ihre Häuser in Gaza wieder aufbauen, ihre Felder wieder herrichten und sich nicht in Luft auflösen. Sie werden sich nicht erneut vertreiben lassen, denn Gaza ist ihre Heimat. Ihnen gehört unsere Solidarität. Wie es schon im Goldstone-Bericht heißt: „Das Volk von Palästina hat das Recht, sein eigenes politisches und wirtschaftliches System frei zu wählen, inklusive des Rechts auf Widerstand, wenn ihm das Recht auf Selbstbestimmung sowie das Recht auf Leben in seinem eigenen Staat in Frieden und Freiheit durch Gewalt verweigert wird“.

Der Gazakrieg muss aufhören! Die Besatzung der Westbank und in Gaza muss beendet, die Grenzen in Gaza müssen geöffnet werden. Die Menschen dort wollen leben, ihr Land wieder aufbauen. Sie wollen frei sein!

Free Gaza, free Palestine !!

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