Gedenken an Hinrichtung des Zwangsarbeiters Homme Hoekstra vor 80 Jahren

Grund: Er rechnete mit einer militärischen Niederlage Deutschlands.

Zu seinem 80.Todestag gedachten Bremerinnen und Bremer des 1911 geborenen Niederländers Homme Hoekstra, der 1943 aus seinem von Deutschland besetzten Land nach Bremen verschleppt und auf der Werft AG Weser im Stadtteil Gröpelingen zur Arbeit für das Naziregime gezwungen wurde.

Nach einem Musikbeitrag von Ortrud Staude, Akkordeon, begrüßten Wolfgang Brauer von der Geschichtswerkstatt Gröpelingen und Ute Pesara vom Beirat Gröpelingen die Anwesenden.

Danach sprach Hartmut Drewes, Pastor i.R. zu Naziterror und Zwangsarbeit in den Stadtteilen Gröpelingen und Oslebshausen. Er schilderte das Leid einer kommunistischen Familie, von der bereits 1933 drei Männer verhaftet wurden. Außerdem brachte er Beispiele von der Behandlung meist sehr junger ausländischer Zwangsarbeiter, die in diesen Industriestadtteilen in Lagern untergebracht und dort bei geringer Ernährung hart arbeiten mussten. Zum Schluss schlug Drewes den Bogen zur Gegenwart. Er äußerte sein Missfallen über die erneute Militarisierung Deutschlands sowie über Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und rief zu couragiertem Widerstand dagegen auf.

Anschließend schilderte Wolfgang Brauer das kurze Leben von Homme Hoekstra, der aus einer Familie von neun Kindern kam. Er hat nicht seine Gedanken für sich behalten, sondern mehrmals geäußert, dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen könne. Das hat ein deutscher Kollege an den Sicherheitsbeauftragten der Werft weitergegeben, worauf Hoekstra zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Am Ende las die Akkordeonspielerin den Brief eines Niederländers vor, den dieser während der deutschen Besatzung geschrieben hatte und Hausdurchsuchungen in seinem Wohnviertel beschreibt, die wohl dem Ziel dienten, arbeitsfähige Männer festzunehmen und für Deutschland arbeiten zu lassen.

Fotos: Hartmut Drewes und Ulrike Rademacher

Hartmut Drewes: Ansprache zum Gedenken zum 80. Todestag von Homme Hoekstra im Schwarzen Weg über „Zwangsarbeit und Naziterror in Gröpelingen und Oslebshausen“ am 26. Juni 2024
Verehrte Anwesende,
liebe Freundinnen und Freunde,
In der Ev. Gemeinde von Oslebshausen hatte ich Anfang der siebziger Jahre nur ab und zu von Polen gehört, die am Kriegsende im Blockland eine Familie umgebracht hätten, und auch in Lebensmittelgeschäfte eingedrungen seien, um sich dort zu bedienen. Erst später, 1974, bin ich persönlich erst in der Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand 1933-1945 in Bremen“ in der unteren Rathaushalle auf den Bereich „Zwangsarbeit“ aufmerksam geworden. 1984 wurde nach Recherchen das Mahnmal zum Lager Riespot, einem Nebenlager vom KZ Neuengamme, auf dem Gelände der Stahlwerke Bremen eingeweiht. 1986 brachte der Rechtshistoriker Christoph Schminck-Gustavus das Büchlein über den polnischen Zwangsarbeiterjungen Walerjan Wrobel heraus, der wegen seines Fluchtversuchs zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Schminck-Gustavus hatte in seinen vorhergehenden Forschungen einen Band mit den Lagerlisten der Nazis in Bremen zusammengestellt, der für uns und andere sehr nützlich war.
Oslebshausen und Gröpelingen sind Arbeiterstadtteile, geprägt von Industrie und Häfen. Dementsprechend gab es in Oslebshausen auch eine Reihe von Lagern, wohl etwa zehn, große und kleine. Beide Stadtteile waren von der Sozialdemokratie geprägt. Aber auch Kommunisten spielten eine gewisse Rolle. Sie waren auch die ersten, die 1933 verhaftet wurden. Eine Kommunistin erzählte uns, dass ihr Mann gleich nach dem Verbot der KPD verhaftet, abends aber wieder entlassen wurde. Aber seine Arbeitsstelle war er los. Vier Wochen später wurde er erneut verhaftet und kam gleich in das KZ Ochtumsand, das sich auf einem Schiff befand.
Seine Frau wollte gern ein Kind bekommen, machte über einen Arzt eine Eingabe, dass er dafür freigelassen werde. Aber das wurde zynisch abgelehnt mit dem Rat, sie könnten ihr einen SA-Mann schicken, der das für sie machen würde. Um ihre Männer zu besuchen, tat sie sich mit ihrer Schwägerin und ihrer Schwiegermutter zusammen, um wechselweise mit einem Rad und zu Fuß sich nach Ochtum, das sind über 20 Kilometer, hinzubegeben, um ihre Männer zu sehen, getrennt durch ein Gitter, und mit ihnen zu sprechen. Es gab auch humane Wächter, die mal wegschauten, damit sie ihren Männern etwas zu essen geben konnten.

Ihr Schwager konnte kurz nach Hause kommen, da seine Frau ein Kind geboren hatte. Er zeigte seinen Rücken, der von Schlägen von oben bis unten schwarz von Blutergüssen war. Er berichtete, dass die neu Eingelieferten gleich verprügelt werden und die Insassen es mit ansehen müssen. Gehen diese auf die Wächter zu, um sie davon abzuhalten, erhalten sie selbst eine Tracht. Dazu kamen in dieser Zeit mehrere Hausdurchsuchungen.
Ihr Mann kam vors Gericht und wurde zu 1 ¾ Jahr Haft verurteilt, die er in Vechta absitzen musste. Aber sie erfuhr auch Solidarität. Ein Bäckermeister, der einen Wagen hatte, bot ihr an, sie nach Vechta zu bringen, um ihren Mann zu besuchen. Sie selbst hatte nicht das Geld, um mit der Bahn dorthin zu kommen. Er gab ihr auch Brot, um es ihrem Mann zu geben.
Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden unterschiedlich behandelt, je nach ihrer Nationalität. Französische Zwangsarbeiter zum Beispiel bekamen eine bessere Verpflegung, konnten von zuhause auch Päckchen empfangen. Sowjetische und polnische Zwangsarbeiter hatten keinen Kontakt zu ihren Angehörigen, sie bekamen die geringste Essensration und wurden am schlechtesten behandelt. Ein ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter sagte mir, als er 2001 zusammen mit anderen vom Bremer Senat eingeladen war: „Zur täglichen Ernährung morgens erhielten wir Brot, etwa 200 Gramm und Margarine für den ganzen Tag. Dazu eine plörrige Suppe. Mittags gab es Suppe in der Kantine von Weserflug. Fleisch war nie drin. Meistens bestand die Suppe aus Wasser, Futterrübenteile, auch Kohl und Kartoffeln. Abends gab es auch Suppe, aber kein Brot mehr.“- Diese Ernährung reichte bei der harten Arbeit natürlich nicht aus. Ein anderer ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter sagte mir, dass, wenn sie irgendwo ein Stück Kartoffelschale auf der Straße sahen, stürzten sie sich darauf, genauso auch auf Mülleimer. Ein Anwohner in der Oslebshauser Landstraße berichtete, dass sein Vater, der auf der Hütte arbeitete, sich von seiner Frau morgens 18, 19, 20 Scheiben Brot schmieren ließ. Und als seine Frau meinte, dass das doch wohl nicht angehen kann, antwortete er: „Ich kann da nicht essen, wenn andere Leute – das waren die Zwangsarbeiter – zugucken.“ Derselbe hatte vier junge 16, 17 Jahre alte polnische Zwangsarbeiter bei sich untergebracht. Mit Wissen des Chefs auf der Hütte. Diese jungen Leute bekamen dadurch auch mehr zu essen als die normale Hungerration.
Dieser Arbeiter hielt auch Schweine und hatte dafür eine Grube für Küchenabfall, mit dem die Schweine gefüttert wurden. Eines Tages sah sein Sohn, dass ein russischer Zwangsarbeiter sich daraus etwas zu essen holte. Daraufhin jagte er ihn weg. Als das der Vater sah, hat er, der sonst nie schlug, seinem Sohn eine mächtige Tracht Prügel verabreicht mit der Bemerkung: „Wer sowas isst, den jagt man nicht weg. Der muss ja wohl Hunger haben.“

Zwangsarbeiter durften bei Bombenangriffen offiziell nicht in den Bunker oder in den Luftschutzkeller hinein. Aber einer, der im Haus des Hüttenarbeiters mit wohnte, wollte die vier jungen Polen aus dem Keller rausjagen. Daraufhin gaben der Hauseigentümer und ein Nachbar namens Mutsch ihm zu verstehen, dass, wenn er das nochmals versuchen sollte, er dafür welche an den Hals kriegen würde. Nach dem Bombenangriff ging der Mitbewohner zu sich hoch, zog sich um, kam in SA-Uniform wieder und sagte zum Nachbarn: „Was wollten Sie, Herr Mutsch?“-
Noch einige Bemerkungen zu dem Ergehen der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Sie sind ja zum Teil in einer wärmeren Jahreszeit aus ihrer Heimat verschleppt worden, waren also nicht auf Wintertemperaturen hin gekleidet. Die versuchten sich zum Teil mit Zeitungspapier zu helfen, das sie unter ihre Kleidung legten.
Falls sich ein Zwangsarbeiter nach den Regeln der Aufsichtskräfte nicht verhielt, wurde er möglicherweise auch mit dem Tode bestraft, und die Kameraden mussten bei der Hinrichtung anwesend sein.
Eine Oslebshauser Bauersfamilie, die zwei Zwangsarbeiter zugeteilt bekommen hatte, aß mit diesen zusammen an einem Tisch, was offiziell untersagt war. Als das der Ortsbauernführer erfuhr, bemängelte er das, aber die Familie blieb dabei.
Zum Schluss ein Beispiel dafür, dass es in der Nazizeit auch Menschen gab, die couragiert auftreten konnten und dabei auch etwas erreichten:
Der Sohn einer Katholikin, der in der Hitlerjugend war, erhielt mehrmals vom Führer seiner Hitlerjugendgruppe eine Karte, dass er sonntags zum Dienst kommen müsse. Der Sohn hatte bereits diesem gesagt, dass seine Eltern darauf beständen, dass er sonntags zuhause bliebe und sie sonntags in die Kirche gingen. Das aber wurde nicht als Entschuldigung akzeptiert, auch wenn es die Eltern sagten. Daraufhin begab sich die Mutter selbst zum HJ-Führer und „brüllte“ – wie sie berichtete – ihn mit den Worten an: „Wenn das so ist, dass wir nichts mehr über unsere Kinder zu sagen haben, dann schick‘ ich sie hierher, dann kleidet Ihr sie und ernährt Ihr sie, dann könnt Ihr mit ihnen machen was Ihr wollt. Aber solange ich dafür aufkommen muss, solange sind sie hier und bleiben in der Familie, und ich will hoffen, dass keine solche Karte mehr kommt.“ Und sie fügte hinzu: „So ein Schnösel von achtzehn Jahren war das. Erst hat er ’ne große Klappe gehabt, dann wurde er immer kleiner.“
Soweit einige Schlaglichter auf die NS-Zeit in Oslebshausen und Gröpelingen.
Seien wir heute auch couragiert, besonders gegen die immer stärker werdende Militarisierung in Deutschland, gegen Rüstung und Waffenexporte in Kriegsgebiete, gegen das Kreuzen deutscher Kriegsschiffe in asiatischen Gewässern und die Beteiligung sich an dortigen Manövern. Was soll das? Wohin soll das führen?
Ich danke fürs Zuhören.