„Stopp den deutschen Waffenlieferungen an Israel“

Dr. Shir Hever ist in der Thematik der Waffenexporte nach Israel ein Experte. Im folgenden Interview erklärt er, wie Deutschland einen speziellen Weg „gefunden“ hat, Waffen nach Israel zu liefern, ohne gegen das Völkerrecht zu verstoßen.

„Stopp den deutschen Waffenlieferungen an Israel“

09. August 2024, von: Shir Hever

Ende Juli 2024 hielt der aus Israel stammende Politökonom Dr. Shir Hever in Karlsruhe einen Vortrag zum Thema „Stopp den deutschen Waffenlieferungen an Israel“. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Rüstungsgüterlieferant für Israel. Waffenlieferungen an Staaten, bei denen der Verdacht auf Kriegsverbrechen oder Völkermord besteht, sind völkerrechtswidrig und müssen daher eingestellt werden. Zudem ist beim Internationalen Gerichtshof immer noch die Klage von Nicaragua gegen Deutschland wegen illegaler Beihilfe beim Völkermord hängig. Im folgenden Interview begründet Shir Hever, selbst Jude, warum die deutschen Waffenlieferungen an Israel sofort gestoppt werden müssen. Die Fragen stellte Henriette Guettinger.

Henriette Guettinger: Deutschland liefert Waffen an Israel. Wer ist verantwortlich für diese Waffenlieferungen? 

Shir Hever: Normalerweise liegt die Verantwortung beim Verteidigungsministerium, das jede Waffenexportbewilligung genehmigen muss. Im Falle des Völkermordes in Gaza gibt es eine spezielle Vereinbarung zwischen dem Außenministerium und dem Wirtschaftsministerium, die ein Arbeitskommitee gegründet haben, um Rüstungsausfuhrgenehmigungen nach Israel zu beschleunigen. Die beiden Ministerien, geführt von der Grünen Partei, sind daher mehr verantwortlich für die Waffenexportbewilligungen als andere Gremien in Deutschland. Aber ohne die Genehmigung des Verteidigungsministeriums geht es natürlich nicht. 

Hat das Parlament nichts zu sagen bei den Waffenexportbewilligungen? 

Natürlich kann der Deutsche Bundestag ein Gesetz erlassen, das Rüstungsexporte in Kriegsgebiete oder bei Verdacht auf Völkermord verbietet. Das macht der Bundestag aber nicht. Die Koalition, die die Mehrheit im Bundestag hat, wird von der SPD, den Grünen und der FDP bestimmt. Diese Parteien unterstützen den Völkermord im Gazastreifen. Oppositionelle Parteien im Bundestag können kleine Anfragen stellen an die Regierung. Das haben zwei weibliche Abgeordnete aus der neuen Partei von Sarah Wagenknecht gemacht. Sie haben unser Netzwerk gefragt, welche Informationen wir brauchen. Dann haben sie die Anfrage an die Regierung gemacht und die Antwort an uns geliefert. 

Welche Waffen werden nach Israel geliefert?

Das ist eine sehr umfassende Frage. Deutschland hat eine Kategorie erfunden, die nur in Deutschland existiert: einen Unterschied zwischen Kriegswaffen und anderen Waffen. Diesen Unterschied kennt kein anderes Land, denn Waffen sind Waffen und töten. ‚Kriegswaffen‘ sind eine deutsche Kategorie, die mehr kontrolliert werden sollte. Kriegswaffen sind zum Beispiel die Kriegsschiffe und die U-Boote, die Deutschland an Israel verkauft hat. Deutschland sagt, die U-Boote werden nicht gegen Gaza eingesetzt, deswegen seien sie nicht relevant. Auch Großmunition gehört zu den Kriegswaffen. 

Aber es gibt auch viele Waffen, die von Deutschland nicht als Kriegswaffen eingestuft sind, zum Beispiel die Motoren für die Panzer, die der deutsche Triebwerkhersteller MTU Aero Engines AG produziert. Wir haben sehr viele Beweise und Indizien aus Gaza, dass israelische Soldaten mit ihren Panzern absichtlich gezielt Zivilisten überfahren haben. Also sind diese Motoren eine tödliche Waffe, das weiß natürlich die deutsche Regierung. Damit keine Kritik kommt, benutzt die deutsche Regierung diese zwei Kategorien, um zu behaupten, die Kriegswaffenlieferung an Israel sei fast gestoppt. Gleichzeitig verkaufen sie immer mehr Waffen. Es gibt auch Kleinmunition, für die 5,56 Millimeter und die 7,62 Millimeter Gewehre, die Israel täglich in Gaza und auch im Westjordanland gegen Zivilisten einsetzt. 

Bei den Waffenlieferungen nach Israel sind die USA auf dem ersten Platz, Deutschland ist auf dem zweiten Platz. Deutschland verkauft nicht nur Waffen an Israel, Deutschland liefert auch Waffen an Israel, die aus den USA stammen. 

Bis im April 2024 gab es mehr als 100 Lieferungen von amerikanischen Waffen mit Flugzeugen. Es gibt das Transportflugzeug C-17, das 77 Tonnen Munition tragen kann. Manchmal müssen die Flugzeuge einen Stopp machen, den sie entweder auf dem Shannon Flughafen in Irland oder in Ramstein in Deutschland machen. Ramstein ist klar, ich habe Bilder von der amerikanischen Luftwaffe. Sie laden in Ramstein die Bomben auf ein Flugzeug Richtung Israel. 

Irland ist eine ganz andere Geschichte. Irland hat ein Gesetz, dass Waffen nicht über den Shannon Airport geliefert werden dürfen. Das ist einfach verboten, egal an wen, egal welche Waffen. Es ist einfach nicht erlaubt. Aber manchmal rufen die Amerikaner beim irischen Transportminister an und sagen ihm, sie hätten ein Flugzeug mit 77 Tonnen Bomben an Bord, das fliege Richtung Europa und habe technische Probleme an Bord. Sie müssten um eine Ausnahmebewilligung bitten, dieses Flugzeug in Shannon zu landen, sonst sei es gefährlich. Wenn ein solches Flugzeug abstürzt, kann es in Europa eine ganze Stadt zerstören. Diese Bomben gehen dann nach Israel. Das bedeutet, dass die Israelis mit diesen 77 Tonnen dann Gaza bombardieren. 

Ich bin in Kontakt mit irischen weiblichen Parlamentsabgeordneten. Sie haben dem Transportministerium Fragen gestellt. Wann genau war diese Ausnahme? Wie viele Ausnahmen? An wen wurden diese Waffen geliefert? Die Parlamentsabgeordneten haben herausgefunden, dass diese Ausnahmen auch Israel betroffen haben. Sie haben daraufhin einen Gesetzesentwurf geschrieben, der leider vom Parlament noch nicht erlassen wurde. Der Gesetzesentwurf lautet in etwa so: „Wenn eine Ausnahme sein muss und ein Flugzeug mit Bomben in Shannon landen muss, um eine große Katastrophe zu vermeiden, dann wird eine Ausnahme bewilligt. Aber die Waffen werden konfisziert.“ Ich finde das eine gute Lösung. Das wollen wir auch in Deutschland so einführen, in Ramstein. 

Wurden und werden diese Waffen gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen eingesetzt?

Ja, absolut. Das Problem ist, Informationen vor Ort zu sammeln. Wenn wir um Zeugenaussagen oder Photos bitten, ist das natürlich eine sehr schwierige Situation. Menschen, die gerade ihre Familien verloren haben, sind nicht gerade in der Lage, die richtige Dokumentation für uns zu machen. Aber sie versuchen es trotzdem unter sehr gefährlichen Bedingungen. Beim Treibstoff oder bei den kleinen Kugeln ist es fast unmöglich, diese kleinen Codes zu lesen. Bei den großen Waffen ist es einfacher. Die deutsche Regierung ist sehr schlau und hat verstanden, dass es keine gute Idee ist, große Bomben an Israel zu verkaufen, das überlassen sie den USA. Wir finden solche Codes an amerikanischen Waffen in Gaza überall. 

Ein gutes Beispiel, wie deutsche Waffen gegen Zivilisten genutzt werden, sind die Corvetten. Das sind eine Art Kriegsschiffe, die Israel von Anfang an benutzt hat, um in Gaza ganz massiv zivile Nachbarschaften zu bombardieren, das sind Terrorangriffe gegen Zivilisten, gegen Menschen, die sich nicht wehren können. Der Vertrag für die Lieferung dieser Corvetten war schon vor dem 7. Oktober 2023 unterschrieben worden. Aber die letzten zwei Corvetten wurden erst nach Kriegsanfang im Dezember 23 an Israel geliefert, als die Videos von israelischen Schiffen, die Gaza bombardiert haben, schon bekannt waren. Das ist ein sehr klares Beispiel.  

Werden diese Waffen auch im Westjordanland eingesetzt?  

Das Westjordanland ist etwas komplizierter. Es wird nicht behauptet, dass Israel dort Völkermord betreibt. Aber trotzdem: Die tägliche Tötung von Zivilisten im Westjordanland ist ein Kriegsverbrechen. Dafür Waffen zu liefern, ist auch illegal. Im Februar 2024 drangen als Zivilisten und Ärzte verkleidete israelische Soldaten – undercover – in das Ibn-Sina Krankenhaus in Jenin ein und erschossen Patienten in ihren Betten. Dabei haben sie diese kleine Munition benutzt. Ob diese aus Deutschland stammt, können wir aber nicht beweisen. 

Ein wichtiges Beispiel ist auch das palästinensische Flüchtlingslager Nur Shams bei Tulkarem. In den letzten Wochen gab es dort ständige israelische Angriffe und viele Menschen wurden getötet. Auch am 1. Juli hat eine israelische Rakete Nur Shams getroffen. Ein palästinensischer Journalist vor Ort hat den Raketenangriff dokumentiert. Auf einer kleinen Komponente der Rakete, einem Druckregler, stand ‚Made in Germany‘. Dieser stammt aus der Firma Jumo in Fulda und war in eine Rakete eingebaut, die Menschen tötet. Hier handelt es sich um „dual use items“. Protestbriefe wurden an die Jumo geschickt, dass ihre  Produkte benutzt werden, um Menschen zu töten. Sie müssten aufhören, diese Produkte an Israel zu verkaufen. Jumo hat geantwortet, sie seien eine tolle Firma und ein guter Arbeitgeber in Fulda. Sie nähmen diese Vorwürfe sehr ernst, aber es bräuchte keine Genehmigung, um diese Druckregler zu verkaufen und zu exportieren. Diese würden nicht als Waffe eingestuft, sondern als zivile Güter. Zudem bezweifeln sie, dass ihr Produkt für diese Rakete benutzt wurde, das heißt, sie glauben, dass der palästinensische Journalist lügt. Tatsache ist, dass ich mit dem Journalisten aus Nur Shams verifiziert habe, dass das Photo echt ist und am 1. Juli und in Nur Shams gemacht worden ist. Ich kann das Photo auch weiterschicken, wenn das jemand will. Wir sind sicher, dass es ein Jumo-Gerät ist. Das nennt man bei Rüstungsexporten „Dual Use Items“.

Man kann einen Vergleich machen mit der Türkei. Die Türkei hat gesagt, solange Israel nicht erlaubt, humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen und Menschen an Hunger und an Krankheiten sterben, werde die Türkei „Dual Use Items“ nach Israel verbieten. Das haben sie konsequent gemacht. Für die israelische Wirtschaft ist das ein großes Problem, auch für die zivile Nutzung dieser Geräte. Sie dürfen sie nicht aus der Türkei importieren, weil  diese auch für Krieg benutzt werden könnten.  

Es ist schwierig, die Herkunft von Waffen nachzuweisen. In Nur Shams ist es gelungen. Wie ist das in Gaza?

Forensische Information zu sammeln ist sehr schwierig. Wir haben zwei Quellen, die wir nutzen können. Erstens ist das die Dokumentation, zum Beispiel die kleinen Anfragen im Bundestag oder verschiedene Dokumente. Es gibt eine sehr gute Organisation, die Forensic Architecture, die von einem ehemaligen israelischen Professor gegründet worden ist. Sie hat einen Hauptsitz in London und einen Nebensitz in Berlin, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Forensic Architecture hat einen sehr detaillierten Bericht geschrieben über die deutschen Rüstungslieferungen an Israel mit sehr vielen Informationen, vor allem mit den Analysen von Dokumenten, den man kostenlos als PDF herunterladen kann. Zweitens sind das die Informationen der israelischen Soldaten selbst. Es gibt Tausende, Zehntausende, Hunderttausende Bilder, Videos, wo die israelischen Soldaten sich selber dokumentieren bei dem Völkermord. Sie schreiben Texte über die Granaten, machen ein Foto und schießen die Granaten. Es gibt sogar einen Befehl der israelischen Armee, der den Soldaten verbietet, ihre Handys nach Gaza mitzunehmen. Diese Soldaten brechen diesen Befehl. Sie machen, was sie wollen, niemand wird bestraft, mit einer Ausnahme. Am 25. Juli 2024 wurde zum ersten Mal seit Beginn des Krieges ein israelischer Soldat zu Gefängnis verurteilt, weil er dokumentiert hat, wie die Armee vier Leichen von Geiseln eingesammelt hat. Mit dieser Dokumentation wusste man dann genau, wo und wann die Leichen gefunden worden waren. Die Familien der Geiseln waren noch gar nicht informiert, dass die Leichen gefunden worden waren und dass die Geiseln nicht mehr am Leben sind. Der Soldat hatte das aber schon veröffentlicht. Deswegen wurde er bestraft, aber nicht wegen seiner Verbrechen gegen Palästinenser.  

Für die Soldaten, die dokumentieren, wie sie Menschen töten, morden in Gaza, gibt es keine Strafe. Sie machen das immer noch, und sie laden das auf hebräisch hoch auf soziale Medien, Tiktok, Instagram und so weiter. Es gibt sehr viele freiwillige Menschen, die aus Israel stammen und hebräisch können, die mit mir Kontakt haben oder mit Forensic Architecture. Sie sitzen und schauen diese Tausende von Photos und Videos an, um zu sehen, oh, hier ist eine Rakete, hier ist eine Bombe. Sie suchen nach diesen Codes, um zu wissen, ob diese aus Deutschland stammen oder aus den USA. 

Wie sieht es vom rechtlichen Standpunkt aus? Sind die deutschen Waffenlieferungen an Israel mit deutschem und internationalem Recht vereinbar? 

Das ist absolut nicht vereinbar. Wenn es einen Verdacht gibt auf schwere Kriegsverbrechen oder einen möglichen Völkermord, dann gibt es drei Regelungen für Drittstaaten:

  1. Drittstaaten dürfen einem solchen Staat keine Waffen verkaufen.
  2. Drittstaaten dürfen von einem solchen Staat keine Waffen kaufen, um die Kriegsmaschinerie dieses Staates nicht zu finanzieren. Deutschland hat Israel 4 Milliarden Euro bezahlt für das israelische Raketenabwehrsystem Arrow3 System. Damit finanziert man die israelische Kriegsmaschinerie mit 4 Milliarden Euro. Ich habe viele Interviews gelesen in israelischen Medien von israelischen Generälen, die sagen, ja, wir haben wirklich ein Problem mit unserm Budget. Wir haben nicht genug Geld für die Munition, aber glücklicherweise hat Deutschland die Arrow3 gekauft und jetzt haben wir ein bisschen Luft, den Krieg weiterzuführen.
  3. Drittstaaten dürfen keine Waffen an diesen Staat liefern beziehungsweise transportieren. In verschiedenen Häfen am Mittelmeer gab es Proteste der Gewerkschaften der Hafenarbeiter. Sie stoppten Waffentransporte nach Israel nicht aus ethischen Gründen, sondern weil diese laut internationalem Völkerrecht illegal sind. Dass in Deutschland der Flughafen Ramstein durch die amerikanische Luftwaffe benutzt wird, um Waffen nach Israel zu bringen, das ist klar verboten. Und die deutsche Regierung weiß das sehr gut.  Als Nicaragua geklagt hat gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord, war die Antwort der deutschen Anwälte im Internationalen Gerichtshof (IGH) nicht: „Wir dürfen Waffen an Israel liefern, weil es das Recht hat, sich zu verteidigen.“ Eine solche Sprache hört man in der Politik, aber nicht im Gerichtshof. Im Gerichtshof haben sie gesagt: „Wir liefern aber wenig.“ Das ist keine Rechtfertigung. Eine Kugel ist schon eine Kugel zu viel. Aber wenn sie sagen, wir liefern wenige Waffen, zeigt das, sie verstehen, dass das illegal ist. 

Nicaragua hat im Frühling beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag einen Eilantrag eingereicht, um die deutschen Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen. Der IGH hat diesen Eilantrag abgewiesen. Wie ist das zu beurteilen? 

Das ist ein bisschen missverständlich. Es gab drei Anträge. Nicaragua hat zwei Anträge gestellt. Ein Antrag war, dass der IGH Deutschland wegen illegaler Beihilfe beim Völkermord verurteilt werden müsse. Der zweite Antrag war ein vorläufiges Urteil, dass Deutschland sofort damit aufhören muss. Deutschland hat den dritten Antrag gestellt: Solange es kein Urteil im Prozess Südafrikas gegen Israel wegen Völkermord gibt, kann Nicaragua keine Klage stellen und die Klage muss zurückgewiesen werden. Der IGH hat die zwei letzten Anträge zurückgewiesen, aber nicht den ersten. Das heißt, der Prozess läuft noch, und es kann gut sein, dass Deutschland für schuldig befunden wird wegen illegaler Beihilfe zum Völkermord.

Gibt es in Deutschland Klagen gegen diese Waffenlieferungen? 

Es gibt mehrere Klagen. Palästinenser haben nicht viel Geld, nicht viele gute Netzwerke, und keine große Lobbygruppe wie die Israelis. Ich kenne viele von diesen Anwälten und Anwältinnen, die diese Klagen führen. Sie haben wenig Erfahrung mit Klagen, um Waffenausfuhren zu stoppen. Sie versuchen schnell zu lernen. Es gibt tägliche Tötungen in Gaza, und wir müssen alles tun, was wir können. Bis jetzt hatte der Gerichtshof in Deutschland gesagt, solange es kein Urteil gibt, darf Deutschland keine Waffen exportieren. Wir waren froh. Dann kam das Urteil. Der Gerichtshof sagte: „Weil wir keine Kriegswaffenlieferungen an Israel gefunden haben, ist die Klage zurückgewiesen“. Das ist dieses Problem mit dieser deutschen Erfindung von Kriegswaffen. Jetzt arbeiten die Anwälte an einer neuen Klage, die besser formuliert wird, so dass diese Ausrede nicht mehr verfügbar ist. 

Mit der neuen Entscheidung des IGH vom 19. Juli, dass die Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ostjerusalems völkerrechtlich illegal ist, sind die Chancen viel besser. Das heißt, wir müssen nicht mehr beweisen, dass die Waffen, die Deutschland an Israel liefert, in Gaza benutzt werden, um zu sagen, dass das illegal ist. Es genügt bereits, wenn diese Waffen in Ostjerusalem oder im Westjordanland benutzt werden, das ist auch illegal. Trotzdem hat Scholz am 24. Juli gesagt: „Wir haben Waffen an Israel geliefert und werden noch weitere Waffen an Israel liefern.“

Wie ist ein militärisches Embargo gegen die deutschen Waffenlieferungen an Israel zu beurteilen? 

Meine Rolle in der BDS-Bewegung ist, diese mit der Bewegung zum Rüstungsembargo gegen Israel zu koordinieren. (BDS ist die Abkürzung für die Bewegung «Boycott, Divestment and Sanctions», die auf Wikipedia allerdings recht tendenziös als „antisemitisch“ eingeordnet wird. Red.) Deswegen ist es klar, was ich über das Militärembargo denke. Das Rüstungsembargo betrifft nicht nur Deutschland, das Rüstungsembargo ist international, es ist weltweit. Es gibt eine Pflicht für jeden Staat, das als Politik zu übernehmen. Spanien hat ein Gesetz erlassen, dass sie ein Rüstungsembargo gegen Israel leisten. Wir arbeiten immer noch in Spanien, weil das Rüstungsembargo in Spanien leider nur zwei von den drei Punkten betrifft: Sie liefern keine Waffen an Israel, sie transportieren keine Waffen nach Israel, aber sie kaufen Waffen aus Israel. Das muss auch gestoppt werden. Spanien hat einen Vertrag mit Elbit Systems, den größten israelischen Rüstungsfirmen. Kolumbien und Chile haben schon ein 100%iges Rüstungsembargo in Kraft gesetzt. Frankreich hatte bei der großen «Paris Air Show» in Paris den israelischen Firmen verboten teilzunehmen. Das gab einen großen Skandal, eine Klage dagegen und so weiter. Die Franzosen waren nachträglich bereit, dieses Verbot aufzuheben, nachdem die Waffenmesse schon vorbei war. Wir werden sehen, was nächstes Mal passieren wird. Das Rüstungsembargo ist sehr, sehr wichtig. Es ist eine Art Druck, um den Krieg zu stoppen, den Völkermord zu stoppen, Menschen zu schützen.

Die BDS-Bewegung ist in der Regel nicht für ein Embargo. Boykott und Embargo sind nicht das Gleiche, das heißt, man darf Produkte an Israel verkaufen, problemlos, also Nahrungsmittel, Medikamente und alles. Man will die Israelis nicht aushungern wie Israel die Menschen in Gaza aushungert. Eine Ausnahme sind die Waffen. Waffen sollen nicht an Israel verkauft werden. Das ist ein echtes Embargo, das Rüstungsembargo. 

Was man liest und hört über das Vorgehen des israelischen Militärs gegen die Zivilbevölkerung ist entsetzlich. Das sind Menschen, wie wir, die das machen. Wie ist das möglich? Ich habe einmal länger mit Nurit Peled gesprochen, die sich mit den Inhalten in den israelischen Schulbüchern befasst hat.

Hat sie Ihnen gesagt, was ihr passierte, als sie nach dem 7. Oktober auf WhatsApp Jean-Paul Sartre zitierte? Sartre sprach über die französische Kolonialherrschaft in Algerien: „Nach so vielen Jahren, in denen der Nacken des Besetzten unter eurem eisernen Fuß erstickt wird, und dieser plötzlich die Chance bekommt, seine Augen zu heben, was für einen Blick habt ihr da erwartet?“ Nurit Peled fügte nach dem 7. Oktober diesem Zitat hinzu: „Wir haben diesen Blick gesehen“. Sie wurde sofort von ihrer Arbeit als Professorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem gefeuert. 

Zur Frage, wie können Menschen Kinder töten? Es gab bei der Knesset eine Diskussion nach dem 7. Oktober, und eine palästinensische Knessetabgeordnete hat die Frage gestellt, „Warum töten Sie so viele Kinder?“ Meirav Ben-Ari, eine Knessetabgeordnete aus einer sogenannten linkszionistischen Partei, also nicht in der Regierung, sondern in der Opposition, hat geantwortet: „Die Kinder sind selber schuld, dass wir sie töten.“ Ihre Frage: „Wie können Menschen das tun?“, ist eine Frage, die ich als Jude, der vom Holocaust von seinen eigenen Großeltern gehört hat und von ihren Erfahrungen, die ich mir seit meiner Kindheit stelle: „Wie können Menschen an diesen Punkt gebracht werden, dass sie bereit sind, ihre Menschlichkeit zu vergessen.“ Das kann ich nicht im Rahmen eines Interviews beantworten. 

Für die Menschen, die dieses Interview lesen und etwas tun oder etwas helfen wollen, ist es nicht hilfreich, sich auf die Greueltaten zu fokussieren. Man kann auf Al-Jazeera so viele Bilder und Videos schauen, das ist wirklich unerträglich, das ist traumatisierend, das verletzt die Seele. Ich empfehle das nicht. Das hilft auch den Palästinensern nicht, wenn man selbst traumatisiert wird. Wir müssen uns nicht auf diese Leiden fokussieren, sondern auf konkrete Aktionen, wie wir das stoppen können.

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