Hanna Resch (ARD) zu Doppelmoral und universellen Menschenrechten

Foto: Screenshot BR

Wir dokumentieren einen Kommentar aus dem Deutschlandfunk:

Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat eine sogenannte humanitäre Stadt für hunderttausende Menschen im Gaza-Streifen ins Spiel gebracht. Das Ziel dabei, Zivilisten von Hamas-Kämpfern zu trennen, weil diese sich unter der Bevölkerung aufhalten. Kleine Sprachkunde, das Fremdwort „humanitär“ bedeutet so viel wie „menschenfreundlich“. Aber mit Menschenfreundlichkeit hätten die Pläne für diese sogenannte Stadt nichts zu tun, sagt Hannah Resch in ihrem Meinungsbeitrag.

Israels Militär soll jetzt konkret planen, wie mindestens 600.000 Palästinenser aus Gaza in eine sogenannte „humanitäre Stadt“ zwangsvertrieben werden können. Ein Lager auf den Ruinen Rafas, in dem Palästinenser eingesperrt und auf ihre Ausreise vorbereitet werden sollen. Das hat Verteidigungsminister Katz Journalisten am Montag vertraulich mitgeteilt. Der Begriff „humanitäre Stadt“, eine Farce, eine Verhöhnung, der Gipfel einer bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Reinterpretation des Völkerrechts, er steht exemplarisch für eine Strategie, die der Schutz zur Kontrolle und Hilfe zur Internierung wird.

Und der Aufschrei – bleibt aus. Wir haben uns an diese Rhetorik gewöhnt. Wir zucken kaum noch, wenn Israels Verteidigungsminister so eine Ankündigung macht. Auch weil die Idee nicht neu ist. Sie wurde monatelang angekündigt, sprachlich getestet, ihre Umsetzung dadurch vorbereitet. Seit bald zwei Jahren hört man von Hardlinern wie dem rechtsextremen Finanzminister Smottrich, die Bevölkerung Gazas solle konzentriert und zur, Zitat, „freiwilligen Ausreise“ gedrängt werden. Je öfter man diese Rhetorik hört, desto sagbarer wird das Unsagbarer, desto mehr stumpft man ab, und das Unvollstellbare wird Realität.

Und es funktioniert.

Der Plan soll jetzt umgesetzt werden, weil die internationale Gemeinschaft dem nie mit der nötigen Empörung und Konsequenz entgegengetreten ist.

Konsequenz hieße etwa, keine Waffenlieferungen mehr und keine Statements, die mit „Wir sind besorgt“ beginnen und mit der immergleichen Formel vom Selbstverteidigungsrecht enden. Die Solidarität nach den Schrecken des 7. Oktobers war richtig, doch längst ist die Verhältnismäßigkeit überschritten. Das Unvorstellbare wird zur Routine, weil wir nicht nur tatenlos zuschauen, sondern weil Politiker wie Friedrich Merz die Sprache dieser Gewalt akzeptieren. Sie sprechen von Solidarität und meinen: Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Palästinenser. Sie sprechen von Israels Sicherheit und schweigen über eine Regierung, die ethnische Vertreibung forciert und weiterplant.

Der bedeutungsschwangere Begriff humanitäre Verantwortung verkommt zur Floskel. Er bedeutet nichts mehr, wenn wir heute zulassen, dass Menschen in Lager gesperrt werden unter dem Etikett ‚humanitär‘. Wenn wir hinnehmen, dass das Völkerrecht nicht mehr zählt, solange es der richtige Bündnispartner ist, der es bricht.

Was in Gaza passiert ist, war nicht plötzlich da, es wurde möglich gemacht: durch Rhetorik, durch Wegsehen, durch Doppelmoral, durch Schweigen.

Und wer jetzt noch schweigt, der darf sich nicht wundern, dass am Ende nicht nur eine Region zerstört ist, sondern auch die Idee, dass es so etwas wie universelle Menschenrechte je gegeben hat.

Link zum Kommentar, gesendet im Deutschlandfunk am 12. Juli 2025, 13:20 Uhr (Link)

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