Machen sich die christlichen Kirchen kriegstüchtig?

Beide großen christlichen Kirchen in Deutschland haben in den letzten Tagen Beschlüsse gefasst, die aufhorchen lassen. Das, was der frühere Kanzler Scholz mit der Zeitenwende proklamiert hat, scheint nun auch von den Kirchen unterstützt zu werden. Die Militarisierung der Gesellschaft hat nun auch die Kirchen erreicht.

Die evangelische Kirche veröffentlichte in diesen Tagen eine Friedensdenkschrift, die eine deutliche Abkehr von früheren friedenspolitischen Positionen darstellt. Zu diesem Papier, das etwa 170 Seiten umfasst, gibt es inzwischen eine Reihe kritischer Stellungnahmen, auf die wir hinweisen.

In die gleiche militaristische Richtung geht eine Stellungnahme von den katholischen Bischöfen. Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte eine Erklärung zur Wehrpflicht. Michael von der Schulenburg, Abgeordneter im EU-Parlament, hat dazu einen Brief an Pax Christi geschrieben, in dem er sein Entsetzen über die „Rechtfertigung von Kriegsvorbereitung“ mitteilt.

Wir veröffentlichen im Folgenden eine erste Stellungnahme zur EKD-Denkschrift von Wilfried Preuß-Hardow und den Offenen Brief von Michael von der Schulenburg an Pax Christi.

Wilfried Preuß-Hardow: Zur EKD-Studie: Aus Gottes Frieden leben-für gerechten Frieden sorgen

Niemand beherrscht die Kunst des „einerseits-andererseits“, des „sowohl als auch“ und des „ja aber“ besser als die theologischen Kommissionen der EKD. Die neue Friedensdenkschrift ist dafür ein beredtes Beispiel.

Niemand, der die umfangreiche Schrift gelesen hat wird behaupten können, dass Forderungen der Friedensbewegung dort nicht aufgenommen werden. So kann man z.B. lesen:

  • Der Zugang zu strategischen Ressourcen ist nicht durch militärische Eingreifoptionen zu sichern
  • Die Einsicht, dass Gewalt nicht durch Gewalt zu überwinden ist
  • Krieg kann niemals ein ausreichendes Mittel zum Frieden sein
  • Wenn sich Frieden und Gerechtigkeit blockieren, muss das durch vertrauensbildende Maßnahmen überwunden werden
  • Terrorismusbekämpfung ist kein legitimes Ziel einer anhaltenden Kriegsführung
  • Rüstungsexporte tragen zur Friedensgefährdung bei

Die gegenwärtige globale Lage wird Kontext der Ungerechtigkeit genannt und dem das Postulat der weltweiten Verteilugsgerechtigkeit gegenübergestellt. Angesichts der wachsenden militärischen Interventionsbereitschaft wird die Möglichkeit mit militärischen Mitteln Frieden zu schaffen in Frage gestellt.

Aber: z.T. werden solche Positionen nur referiert ohne sich bedingungslos dahinter zu stellen und alle Formen militärischer Maßnahmen werden ebenso dargestellt, ohne sich von ihnen zu distanzieren. So sind Präventionskriege erlaubt, wenn man dabei bedenkt…, Auslandseinsätze der Bundeswehr sind möglich, wenn man dabei im Auge hat…, der Krieg gegen den Terrorismus ist legitim, wenn man Auswüchse wie Abu Ghraib und Guantanamo vermeidet. Gewalt muss notfalls mit Gegengewalt eingedämmt werden, unter der Voraussetzung dass… u.s.w.

Friedensforschung, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensbildung werden ausführlich gewürdigt, ohne diese Optionen aber auf bestehende Konflikte anzuwenden, das Zurückfahren dieser Initiativen und die Mittelkürzung dafür zu kritisieren. Die allgemeine Wehpflicht wird moralisch gerechtfertigt, wohingegen Kriegsdienstverweigerer angehalten werden einen auch militärunterstützenden Dienst etwa in der Kranken- und Verwundetenversorgung zu leisten. Das Bereithalten und sogar der Einsatz von Atomwaffen werden erlaubt („Man kann die Atombomben schließlich nicht zurückerfinden“) Kein Wort dagegen zur Kriegspropaganda, zum Schaffen von Feindbildern, zur Einbindung der Medien in die Kriegstüchtigkeit. Zivilgesellschaftliche Kontakte wie Schüleraustausch u.ä. werden zwar allgemein gewürdigt, die Aufkündigung solcher Kontakte mit Russland aber nicht kritisiert(Städte- und Unipartnerschaften, Ausschluss von Sportlerinnen und Sportlern und Künstlerinnen und Künstlern von internationalen Events u.v.m.) Der Einsatz von Gewalt wird auf jeden Fall dem Staat überlassen, der dafür allerdings Gründe vorbringen muss (wie die Massenvernichtungswaffen des Irak oder der Angriff auf den Sender Gleiwitz?)

Sarkastisch könnte man diese Denkschrift zusammenfassen unter dem Satz: “Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt“(Mt.9,23). Im Endeffekt ist es aber eine Anbiederung an die Herrschenden und den von Ihnen propagierten mainstream, wobei man im schlimmsten Fall ja immer noch sagen kann: Aber wir haben doch davor gewarnt und unsere Bedenken angemeldet.

Wilfried Preuß-Hardow, im November 2025

Weitere Stellungnahmen: 20251112 zur Friedensdenkschrift-Bonhoeffer-Niemöller-Stiftung; 20251112 zur Friedensdenkschrift-Initiative Christlicher Friedensruf Hannover; 20251112 zur Friedensdenkschrift AGDF

Michael von der Schulenburg: Offener Brief an Pax Christi

Die Haltung der katholischen Kirche in Deutschland zu Krieg und Frieden

Mein Name ist Michael von der Schulenburg. Ich bin praktizierender Katholik und habe 34 Jahre für die Vereinten Nationen in Entwicklungs- und Friedensmissionen gearbeitet – meist in führenden Positionen und in Ländern, die sich im Krieg befanden oder durch Kriege direkt oder indirekt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Heute bin ich parteiloser Abgeordneter der BSW Gruppe im Europäischen Parlament. Meinen Lebenslauf füge ich bei, da er vielleicht zum Verständnis dessen beitragen kann, was ich hier ausführe.

Einleitend möchte ich darauf hinweisen, dass ich seit 1978 nicht mehr in Deutschland lebe und heute meinen ersten Wohnsitz in Österreich habe. Damit möchte ich betonen, dass vieles, worüber ich hier schreibe, auf persönlichen Eindrücken beruht und keiner eingehenden Analyse entspringt. Ich bin kein Theologe und verfüge über kein theologisches Fachwissen. Dieser offene Brief soll daher nicht als Anklage oder Schuldzuweisung verstanden werden, sondern als Ausdruck einer inneren Unruhe, die sich aus meinen langjährigen Erfahrungen mit Krieg und Frieden in vielen Teilen der Welt speist.

Die Worte „Pax Christi“ sind bereits Programm – ein Programm, das Christen dazu verpflichtet, sich für Verständigung und Frieden einzusetzen. Gerade in dieser Zeit sollte das von größter Bedeutung sein: einer Zeit, in der der Ukrainekrieg und die Kriege Israels in Gaza, der Westbank, im Libanon und Syrien – sowie die Kriege mit dem Iran, dem Jemen und Katar – zu unsagbarem menschlichem Leid und ein uns alle bedrohendes Ausmaß geführt haben.

Die Gefahren dieser Kriege sind heute unkalkulierbar. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielen Nuklearwaffen in diesen Konflikten eine strategische Rolle – bislang noch als Abschreckung. Aber wo liegt die Grenze zwischen Abschreckung und Einsatz? Vor diesem Hintergrund sollten Berichte über die Modernisierung von Atomwaffen, die rasante Entwicklung neuer Trägersysteme und Pläne für erneute Atomwaffentests uns zutiefst beunruhigen.

Mit dieser Entwicklung riskieren wir die Schöpfung. Wie können wir dazu schweigen?

Auf meinen Reisen besuche ich regelmäßig Messen in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Belgien. Doch in den letzten Jahren habe ich kein einziges Mal eine Fürbitte für die Kinder in Gaza gehört – oder für die jungen Ukrainer und Russen, die sich gegenseitig töten. In keiner Predigt wurden diese Kriege erwähnt, und bei keinem Friedensgruß wurde vor einer Entwicklung gewarnt, die zur Zerstörung der Menschheit und allen Lebens auf der Erde führen könnte.

Dabei haben sich Papst Franziskus – ebenso wie heute Papst Leo XIV. – unermüdlich um Frieden bemüht und immer wieder friedliche Lösungen für Konflikte eingefordert. Im Sommer 2022 war ich unter Führung von Jeff Sachs gemeinsam mit Romano Prodi, Anatol Lieven, Richard Rubenstein und vielen anderen – darunter mehreren Kardinälen – vom Vatikan eingeladen, wo wir eine mögliche Friedenslösung für den Ukrainekrieg erarbeitet haben. Als ich versuchte, darüber im Bistum Wien oder in meiner kleinen Gemeinde in Bisamberg zu berichten, stieß ich auf Ablehnung. Man wollte sich nicht einmal auf einen Kaffee mit mir treffen. Woher kommt diese Angst, sich mit dem Thema Krieg auseinanderzusetzen?

In dieses kirchliche Schweigen bricht nun die erschreckende Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Wehrdienst vom 13. Oktober dieses Jahres. Sie ist im Stil eines juristischen Gutachtens verfasst – vom Geist einer pax christi ist darin nichts zu spüren. Im Gegenteil: Sie liest sich wie eine Rechtfertigung von Kriegsvorbereitungen. Dabei werden die Kriegsnarrative der Bundesregierung völlig unkritisch übernommen. Eine derart schwarz-weiß Darstellung mit klaren Schuldzuweisungen mag für eine Regierung, die sich im Konflikt mit Russland befindet, noch nachvollziehbar sein – für Bischöfe einer weltumspannenden Kirche ist sie es nicht.

Der Wehrdienst – also eine zentrale Frage der Kriegsvorbereitung der Bundesregierung – wird in dieser Erklärung gerechtfertigt. Dabei wird das Argument einer „sicherheitspolitischen Bedrohung durch Russland“, also einer unmittelbaren Kriegsgefahr für Deutschland, übernommen. Eine solche Kriegsgefahr wird jedoch nur von europäischen NATO-Mitgliedern (und insbesondere von der Bundesregierung) behauptet. In den USA hingegen ist in den jährlich erscheinenden gemeinsamen „Gefahrenanalysen der US-Geheimdienste“ nie von einer derartigen Bedrohung die Rede. Auch in den vielen nicht-NATO-Ländern, in denen heute die Mehrheit der Christen lebt, wird eine Gefahr dass Russland letztlich auch uns angreifen würde, offenbar nicht gesehen. Warum also übernehmen deutsche Bischöfe diese Sichtweise?

Sollte es überhaupt die Rolle deutscher Bischöfe sein, sich in Kriegen auf eine Seite zu stellen? Ist das Absegnen der eignen Kriegstüchtigkeit bei gleichzeitiger Verteufelung von Gegnern überhaupt eine christliche Haltung? Wäre es nicht vielmehr Aufgabe einer christlichen Gemeinschaft, sich auch gegenüber einem Gegner verständnisvoll und ausgleichend zu öffnen? Sind diplomatische Prinzipien zur Lösung von Konflikten – wie (i) dem Gegner Respekt zu zollen, (ii) auch seinen Narrativen zuzuhören und (iii) den Versuch zu unternehmen, seine Positionen zu verstehen – nicht letztlich Prinzipien, die einer christlichen Kirche besser zu Gesicht stünden als die nun veröffentlichte bischöfliche Erklärung zum Wehrdienst?

Sollten deutsche Bischöfe im Sinne einer pax christi ihre Energie nicht vielmehr darauf richten, Gesprächsfäden aufzunehmen und Friedensperspektiven zu entwickeln – so wie wir es bereits im Sommer 2022, also vier Monate nach Ausbruch des Krieges, an der Päpstlichen Akademie des Vatikans, der Pontificia Academia Sancti Thomae Aquinatis, getan haben? Diese Akademie wurde 1879 von Papst Leo XIII., dem Namensvorgänger und Vorbild des heutigen Papstes, gegründet.

Könnte die Charta der Vereinten Nationen – ein Dokument, das von allen Päpsten seit dem Zweiten Weltkrieg unterstützt wurde – nicht auch deutschen Bischöfen helfen, eine christlichere Haltung zur Frage von Krieg und Frieden einzunehmen?

Vier Gedanken dazu:

Die Verpflichtung zu friedlichen Lösungen von Konflikten
Um Kriege zu vermeiden, haben sich alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in der Charta verpflichtet, ihre Konflikte ausschließlich durch friedliche Mittel – also durch Verhandlungen, Diplomatie, Vermittlungen oder Schiedsgerichte – zu lösen. Das gilt selbstverständlich auch für bereits ausgebrochene Kriege, die so schnell wie möglich beendet werden sollen. Wäre es daher nicht angebracht, wenn deutsche Bischöfe die Bundesregierung zu Gesprächen und Verhandlungen mit Russland aufforderten, um eine friedliche Lösung des Ukrainekriegs zu erreichen?
Die Abkehr von der Idee gerechter Kriege
Die UN-Charta unterscheidet nicht mehr zwischen gerechten und ungerechten Kriegen. Sie verpflichtet alle Kriegsparteien gleichermaßen, sich um eine friedliche Lösung zu bemühen. Denn in allen Kriegen behauptet jede Seite, im Recht zu sein. Deshalb spielen Überlegungen zur Kriegsschuld bei Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen keine Rolle. Nach der Charta sind alle Kriege unmoralisch – und doch erkennt die Charta an, dass es in Kriegen nicht um Moral, sondern um Interessen geht. Eine Friedenslösung bedeutet daher immer auch einen Interessenausgleich. Schuldzuweisungen, wie sie von deutschen Bischöfen geäußert werden, sind in diesem Kontext fehl am Platz.
Nie wieder Krieg!
Die sicherheitspolitischen Überlegungen in der westlichen Welt werden heute vom Spruch des römischen Militärschriftstellers Publius Flavius Vegetius Renatus aus dem 4. Jahrhundert geprägt: „Si vis pacem, para bellum“ – „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“ Doch dieser Spruch geht davon aus, dass der Mensch dem Menschen stets ein Feind ist und Frieden nur durch Waffen erzwungen werden kann. Das ist ein zutiefst menschenverachtendes Weltbild – und deutsche Bischöfe sollten sich davon klar distanzieren.
Die UN-Charta hingegen geht von einem positiven Menschenbild aus: dass der Mensch durch Vernunft und Vertrauen in der Lage ist, Konflikte friedlich zu lösen – auf eine Weise, die von allen Seiten akzeptiert werden kann. Ist das nicht eine Haltung, die dem christlichen Glauben nähersteht?
Das Wort als Fundament der Schöpfung
Oft wird kritisiert, die UN-Charta bestehe nur aus Worten – und könne in einer Welt mit fast drei Billionen Dollar an jährlichen Militärausgaben nichts bewirken. Doch sollte ein solches Argument nicht gerade Christen aufrütteln? Das Christentum – wie auch Judentum und Islam – basiert auf dem Wort. Das Johannesevangelium beginnt gar mit den gewichtigen Worten: „Im Anfang war das Wort.“ Wenn das Wort für die göttliche Schöpfung steht – wie können wir dann akzeptieren, dass unser Frieden auf von Menschen geschaffenen Waffensystemen beruht, die alles Leben auf der Erde in wenigen Stunden vernichten könnten? Sollten religiöse Gemeinschaften nicht die vorrangigen Fürsprecher der UN-Charta sein?
Am 15. November wird pax christi eine Friedenskonferenz in Heidelberg abhalten. Dazu füge ich meine Schrift „Nie wieder Krieg – die Charta der Vereinten Nationen“ sowie das zugehörige Begleitschreiben in deutscher und englischer Sprache bei. Die Schrift wurde anlässlich des 80. Jahrestags der UN-Charta am 24. Oktober 2025 verfasst und kann kostenlos auf meiner Webseite www.michael-von-der-schulenburg.com heruntergeladen werden.

Der Friede sei mit Euch!

 

Michael von der Schulenburg
Abgeordneter des Europäischen Parlaments
Ehemaliger Assistant-Secretary-General der Vereinten Nationen
Brüssel, 3. November 2025

Kommentar zu “Machen sich die christlichen Kirchen kriegstüchtig?

  1. Eine ausgezeichnete differenzierte Stellungnahme von Herrn von Schulenburg. Ich stimme ohne Vorbehalte zu und hoffe und wünsche mir, das diese klare Stellungnahme bei der anstehenden Freidenskonferenz in Heidelberg am 15.11.2025 Gehör findet.
    Leider bleibt die Denkschrift der EKD im Ungefähren "für jeden etwas" hängen. Skandalös die Beurteilung bzw. Stellungnahme darin zu den Atomwaffen und vieles andere mehr. Herr Preuss Hardow hat es auf den Punkt gebracht. Werden wir wieder den Gedanken der Bekennden Kirche aufgreifen müssen um uns zu wehren ?
    Danke den Autoren der Stellungnahmen.

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