Dieter Süverkrüp – der „Freiherauskommunist“

Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere noch an Dieter Süverkrüp. Er ist 90 geworden. Er war der große Komponist, Texter, Grafiker, Jazz-Gitarrist, Arrangeur, Organisator, Inspirator und noch vieles mehr der Protestsong-Bewegung der 60er, 70er bis in die frühen 80er-Jahre. Zusammen mit Hein und Oss Kröher, Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader, Reinhard Mey u.v.a.m. Die „Junge Welt“ hat ihm mit einem außergewöhnlich informativen und ausführlichen Artikel gratuliert und uns die Genehmigung zum Abdruck erteilt. Der Titel: „Der Freiherauskommunist“

Der Freiherauskommunist

Parteilich und anspielungsreich. Zum 90. Geburtstag des Musikers, Liedermachers und Grafikers Dieter Süverkrüp
Von Ingar Solty

Sein Freund Franz Josef Degenhardt sah sich als Lyriker. Da seine Gedichte nicht gedruckt wurden, vertonte er sie und wurde Liedermacher. Alsbald fand er Anerkennung als Poet und Romancier. Dieter Süverkrüp, der auch als Grafiker reüssierte, ging den umgekehrten Weg. Er war zunächst Musiker und entwickelt sich dann, vermittelt über die Politisierung, zum Liedermacher.

Liedermacher haben heute einen schlechten Leumund. Dieselben, die seit der Antifolkbewegung alte Singer-Songwriter – von Johnny Cash bis Leonard Cohen – abfeiern, schauen auf den Liedermacher herab. Der Begriff sollte einst, ebenso wie Brechts »Stückeschreiber«, die Nähe zu den Werktätigen ausdrücken. Vielleicht schaut man genau darum herab. Es würde in die Zeit passen.

Geboren in Düsseldorf, studiert Süverkrüp in seiner Heimatstadt an der »Werkkunstschule«. Seine Passion ist die Jazzgitarre. Die Orientierung an dieser Musikkultur der US-Besatzungsmacht ist durchaus typisch für seine Generation. Es ist die Zeit vor der Adaption – um nicht zu sagen: Enteignung – und Popularisierung der schwarzen Rock-’n’-Roll-Musik durch weiße Künstler. Von 1956 bis 1959 spielt Süverkrüp Gitarre bei den »Feetwarmers«. Ein Bandkumpane, Manfred Lahnstein, wird später einmal Bundesfinanzminister.

Beim Deutschen Amateur-Jazz-Festival kürt die Jury Süverkrüp 1957 zu Deutschlands bestem Jazzgitarristen. Während einige der bedeutendsten Liedermacher nie Noten lesen lernten, zehrt Süverkrüp von dieser Fingerfertigkeit und seinem Verständnis für Harmonie und Komposition. Auch dadurch verstärkt sich ein besonderer Eindruck: Während der frühe Degenhardt einen Liedausdruck suchte, der sich durch Wohlklang ins Gehör schmeichelt und erst nach dem dritten oder elften Hördurchgang seine gegenkulturelle subversive Botschaft entfaltet, zwingen Süverkrüps Kompositionen zum genauen Hin- und strukturellen Zuhören. Auch werden seine Lieder von Anfang an zwar filigran und sprachspielerisch, aber zumeist unverkennbar politisch sein, intellektuell, in die Zeitläufte eingreifend, Widersprüche zuspitzend und mit augenzwinkerndem Charme und augenöffnendem Witz.

Jugend im Kalten Krieg

In Süverkrüps Jugendzeit fällt die deutsche Teilung und der Kalte Krieg. An die Stelle der sozialistischen Bestrebungen in allen Besatzungszonen – die sich im Massenzustrom in die Arbeiterbewegung (Gewerkschaften, SPD, KPD), der hessischen Landesverfassung, der siegreichen Volksabstimmung zum Sozialisierungsparagrafen 41, dem Ahlener Programm der CDU usw. niederschlagen – tritt eine Entwicklung, die mit den Schlagwörtern »verhinderte Neuordnung« und »westdeutsche Restauration« beschrieben werden kann. Deutschland wird gespalten. 1948 wird die D-Mark eingeführt, 1949 erfolgt die Gründung der BRD, anschließend die der DDR. Der Sieg der Chinesischen Revolution 1949 und die starken kommunistischen Bewegungen in Westeuropa verunsichern die USA, die erklären, jeder weiteren Ausdehnung des Kommunismus mit »massiver Vergeltung« zu begegnen. Die USA treten 1950 mit dem Ziel des »Rollback« in den Koreakrieg ein. In Deutschland beschleunigt er die Wiederbelebung des Antikommunismus und Militarismus. Die alten NS-Eliten werden reinthronisiert. Mit dem »Adenauer-Erlass« werden die Kommunisten erneut verfolgt. Die Remilitarisierung beginnt. 1956 wird das Grundgesetz um eine Wehrverfassung ergänzt.

Gegen diese Entwicklungen richtet sich früh eine von der Arbeiterbewegung, Intellektuellen und kirchlichen Gruppen getragene Friedensbewegung. Das Motto: »Ohne mich!« Pastor Martin Niemöller startet 1950 eine Volksbefragung zur »Wiederbewaffnung«. Sie wird verboten. Trotzdem unterschreiben sechs Millionen. Süverkrüp politisiert sich in dieser Zeit: »Ich bin Jahrgang ’34 und war so elf Jahre, als der Krieg zu Ende war. Ich hatte eine ganze Menge vom Krieg mitgemacht und wusste ganz genau, Krieg und Militär und so etwas will ich auf gar keinen Fall.«

Für Süverkrüps Entwicklung ist die Freundschaft mit dem 15 Jahre älteren Gerd Semmer (1919–1967) entscheidend. Beide lernen sich im Februar 1956 beim Purimsfest des Zentralrats der Juden in den Düsseldorfer Rheinterrassen kennen. Der Pantomime Jean Soubeyran gibt ein »Purimspiel«, wozu der 22jährige Süverkrüp »den Moritatensänger« macht. Semmer sieht sich das an und fragt: »Warum sollen wir keine Chansons zusammen machen?« Im November 1956 entstehen die ersten Chansons, auch arbeiten beide an einem nie vollendeten Fernsehpuppenspielfilm und finden bald »ein anderes Betätigungsfeld«: 1958 beginnt die Arbeit an Liedern der Französischen Revolution. Gemeinsam treten sie mit diesem Programm auf.

Semmer, Sohn eines Schneiders aus Paderborn, beeinflusst Süverkrüp maßgeblich. Er ist Spiritus rector auch vieler anderer Künstler, die auf den Festivals auf der Burg Waldeck nach 1964 das Liedermachen in der BRD begründen. Nach Schneiderlehre, Abitur, Literatur- und Soziologiestudium und abgebrochener Doktorarbeit zu Brecht arbeitet Semmer zunächst als Regieassistent von Erwin Piscator. 1953 kommt er nach Düsseldorf. Als Süverkrüp ihn kennenlernt, ist er noch Feuilletonchef der Deutschen Volkszeitung, die der illegalen KPD nahesteht. Danach wechselt er zur Wochenzeitung Stimme des Friedens, die 1959 verboten wird. Schon in den 1950er Jahren ist Semmer mit politischer Lyrik unterwegs. Seine Poesie stellt Semmer in den Dienst der Ostermarschbewegung, die sich bald zur Massenbewegung entwickelt. Wir gingen, schreibt Süverkrüps Freund Udo Achten, »zu Recht davon aus, dass Krieg möglich, ja wahrscheinlich, und doch verhinderbar sei.«

Bekannt aus dieser Zeit ist vielen das Lied »Unser Marsch ist eine gute Sache« von Hannes Stütz. Für die damalige »operative Kunst« (Ulla Hahn) war indes Semmer die entscheidende Figur. In dreierlei Hinsicht: als Komponist wichtiger Bewegungslieder, als Entdecker der durch den Faschismus abgebrochenen Liedtraditionen – sowohl historisch als auch international – und als Bereitsteller von Infrastruktur für die Waldeck-Künstler und somit deren Breitenwirksamkeit.

1960 gründen Süverkrüp und Semmer zusammen mit dem aus der bündischen Jugendbewegung stammenden, späteren Soziologieprofessor Arno Klönne und dem jungen Wolfgang Abendroth-Schüler Frank Werkmeister den Pläne-Verlag, bei dem die meisten ihrer Aufnahmen erscheinen. Alles, was im Westen kommunistisch-links ist, wird hier veröffentlicht, und zwar in Massenauflagen.

Bei Pläne erscheint auch Süverkrüps Debütalbum »Lieder der Französischen Revolution« (1961). Den politischen Zweck der Nachdichtungen beschreibt Semmer mit einer Politik des Kulturellen im Sinne Walter Benjamins: Während das deutsche Volkslied »von Röslein rot und Blümlein blau« singe, berichte das französische Chanson »von sozialen Kämpfen und Siegen, auch von Niederlagen«. Der Hörer solle »im Lied die Spuren der Geschichte finden«, »damit die Überlieferung von neuem dem Konformismus abgewonnen werde, nicht als Beute oder Erbe, sondern als Zuversicht, als Mut, als Humor, als List, als Unentwegtheit in diesem Kampf um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Aus Semmer spricht ein Marxismus, der nach dem Faschismus erst wiederzuentdecken war, und den auch Süverkrüp im Umfeld der Kommunisten in der Illegalität aufsaugt.

Aber nicht nur die (Wieder-)Entdeckung und Nachdichtungen von demokratisch-fortschrittlichen Liedern aus Französischer Revolution, Spanischem Krieg und antifaschistischem Widerstand gehen auf Semmer und Süverkrüp zurück. Die beiden komponieren auch eigenes. 1962 erscheint die EP »Warnung Rattengift ausgelegt! Kinder & Haustiere fernhalten«. Damit sind sie – ein Jahr vor Degenhardts Debüt »Zwischen null Uhr null bis Mitternacht« die ersten, die in der BRD mit einem deutschsprachigen Chanson gegen die Dominanz des postfaschistischen Schlagers antreten. Entsprechend lautet der Untertitel der Veröffentlichung: Chansons. Ebenso wie auf der 1963 veröffentlichten EP »Ein Lied, drei, vier: Neue Chansons«.

LPG Genossenschaft: 3000

Die meisten Süverkrüp-Lieder sind dabei politisch zweckgebunden: Das Lied »Lebe glücklich« entsteht anlässlich des Ostermarsches 1962 und erscheint auf der Pläne-EP »Lieder gegen die Bombe«. Der Text stammt wie bei den Ostermarschliedern »Luftschutzlied«, »Gott hat die Bombe nicht gemacht«, »Bunker-Ballade«, »Der alte Krieg« und »Wir wollen dazu was sagen«, die alle anlässlich des Ostermarsches 1964 geschrieben worden sind, von Semmer.

Der Pläne-Verlag, der nach dem Ostermarsch 1962 auch andere Künstler wie Fasia, Inge Börner, Hanns Dieter Hüsch und Ingrid Süverkrüp, Süverkrüps Ehefrau, veröffentlicht, versteht sich als »Agentur der Agitatoren« im Dunstkreis irgendwo zwischen der 1960 gegründeten Deutschen Friedens-Union und der illegalen KPD und entwickelt sich zur ersten Adresse der politischen Liedkunst, einschließlich internationaler Größen wie Mikis Theodorakis und – bereits seit 1963 – DDR-Künstlern wie dem kanadischen Emigranten Perry Friedman und Ernst Busch. Süverkrüp ist somit schon Teil eines politischen Kollektivsubjekts mit annähernd zehnjähriger Vorgeschichte, als er 1964 zum Burg-Waldeck-Festival kommt, wo der Grundstein für die Karrieren von Hannes Wader, Reinhard Mey und Walter Mossmann gelegt wird und wo er auch Degenhardt trifft.

Süverkrüp ist darum auch politisch immer schon weiter, gefestigter als sein Umfeld. Degenhardt kommt aus der katholischen Jugendbewegung. Ihn beschäftigt die Frage, wie man nach Auschwitz noch auf Deutsch singen und an die Tradition anschließen kann, wo doch dieselben Lieder der Jugendbewegung von den SS-Erschießungskommandos auf dem Weg zu ihren Massakern gesungen worden sind. Er bringt das in »Die alten Lieder« zum Ausdruck: »Tot sind uns’re Lieder – / Uns’re alten Lieder!/ Lehrer haben sie zerbissen, / Kurzbehoste sie verklampft – / Braune Horden totgeschrien, / Stiefel in den Dreck gestampft.« Wader erinnert sich in seiner Autobiografie: »Deutsche Lieder in deutscher Sprache? Immer noch betrachtet der kritischere Teil der jüngeren Deutschen, zu dem ich auch mich zähle, seitdem ich keine Schlager mehr höre, das traditionelle Liedgut als naziverseucht und daher nicht singbar.« Das ist »die Grundstimmung«, auch bei Mey, dessen Unbehagen so weit geht, dass er anfangs auf Französisch singt.

Im Umfeld der Kommunisten

Die Überlegungen der Waldecker, Degenhardts Erklärung »Papas Lied ist tot!« von 1964 – analog zum Oberhausener Manifest: »Papas Film ist tot!« von 1962 – sind die Grundvoraussetzung für die Entstehung des »Autorenlieds« in der BRD. Bei den Internationalen Essener Songtagen von 1968 verbindet sich diese Tradition mit der internationalen Rockmusik zwischen Frank Zappa, Tim Buckley und The Fugs. Ohne diese Wurzeln wäre heute eine deutschsprachige Rockmusik gar nicht vorstellbar, lassen sich Floh de Cologne und Ton Steine Scherben nicht denken, nicht Fehlfarben und Slime, nicht die Neue Deutsche Welle, nicht der unlustige Funpunk von Die Ärzte und Die Toten Hosen, nicht die Hamburger Schule, nicht der Deutschrap.

Dank Semmer kennt Süverkrüp die unbehagliche Wurzellosigkeit des Postfaschismus nicht. Er ist ja längst verwurzelt. Weil er der Arbeiterbewegung nahe steht und sich im Umfeld der illegalisierten Kommunisten bewegt, kann er sich in die Traditionslinie der »Deutschen Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten« stellen, wie sie der große DDR-Liedforscher Wolfgang Steinitz zusammengetragen hat. Ist für Degenhardt zunächst Deutschland einschließlich der DDR, die ihn befremdet, weil er in der FDJ die altkommunistischen Traditionen nicht wiedererkennt, sondern sich nur an die Hitlerjugend erinnert fühlt, der Nicht-Ort, kennt Süverkrüp das »andere Deutschland« – das Deutschland der historischen Klassenkämpfe und der gegenwärtigen DDR.

Süverkrüp ist damit seinen Kollegen, von denen später viele, wie er, in die 1968 als DKP wiederzugelassene Kommunistische Partei eintreten werden, weit voraus. Während die sich gerade erst auf der Waldeck anpolitisieren und von »Gammlern« zu Friedensbewegten entwickeln, ist Süverkrüp schon beim nächsten Schritt und fordert 1966 in seinem »Wünsche des Publikums an den Sänger« den Schulterschluss mit der Arbeiterbewegung. Spöttelnd singt er: »Und sag uns, wo die wahren Spießer sitzen, / damit wir uns da alle einig sind. / Derweil sie in den Wurstfabriken schwitzen, / weht doch auf unserm Berg ein andrer Wind.«

Auch in seiner Auseinandersetzung mit der bundesrepublikanischen Vergangenheitsverdrängung, dem schuldabwehrenden, sekundären Antisemitismus, dem ungebrochenen Antikommunismus und antislawischen Rassismus wählt er längst einen sehr viel direkteren, nicht verklausulierten Ton. Während beispielsweise Degenhardt in »Häuser im Regen« noch formuliert: »Ihre Kinder haben Angst / Angst vor den Vätern auf Büfetts in Trauerrahmen. / Denn wer weiß, was die korrekt verwaltet haben«, da geißelt Süverkrüp in »Monumentallied über den deutschen Michel« die Straffreiheit der Naziverbrecher: »Gaskammerdiener kommt ins Loch – für ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Woch.« Und in »Kirschen auf Sahne« singt er: »Und der alte Mann, / Der mal im Widerstand war, / Spricht nicht gerne davon: / Pro Tag Auschwitz fünf Mark, / Wieviel macht das im Jahr?«.

Unterwanderstiefel

Wenn Degenhardt und andere nun zur Friedensbewegung stoßen, so ist dies auch Süverkrüps Verdienst. Ab 1965 fühlt sich auch Degenhardt als Teil der Bewegung. Aus Kumpanen werden Freunde und Genossen. Mit Degenhardt, Hüsch und Wolfgang Neuss geht Süverkrüp 1967 – in halb ernstgemeinter, halb ironischer Anlehnung an die »Beatles« – als »Quartett 67« auf Tour. In einem seiner Beiträge imaginiert Neuss – »nach gelungener Revolution in der BRD« – Süverkrüp als »Familienminister«, Degenhardt als »Bundeskanzler«, Hüsch als »Verkehrsminister« und sich selbst als »außerehelichen Verkehrsmini«. Heute sagt Süverkrüp im Gespräch am Telefon rückblickend: »Mit Degenhardt habe ich gelegentlich telefonisch diskutiert, in den Grundsatzfragen waren wir eigentlich immer einer Meinung.«

Süverkrüps Lieder sind stets agitatorisch, aber längst kein Agitprop. Dafür sorgen sein musikalisches Ausnahmetalent und seine unnachahmliche Sprachbegabung. Er erfindet für den »agitproper« gestylten »Kryptokommunisten« (1965), den er trotz Parteiverbot unverhohlen besingt, die »Unterwanderstiefel« und das »Untertagwerk«. Zum Vietnamkrieg entstehen typische Zeilen wie: »Vietnamentlich die Amerikannibalen sind eine ungeheure Friedensgarantie.«

Süverkrüp, der immer wieder Kulturarbeit am linken Flügel der organisierten Arbeiterbewegung, vor allem in der IG Metall und der Lehrlingsbewegung (»Lied vom Nutzen«), macht, schaut belustigt auf die traditionslose, kulturrebellische »Neue Linke« und sieht viele »wildgewordene Kleinbürger«. In »Die Revolution ist beendet« spießt er sie und ihre überstiegenen und entsprechend kurzlebigen idealistischen Revolutionshoffnungen auf. Während Degenhardt, der bei Universitätsbesetzungen spielt, lediglich die Linksliberalisierung der Bewegung (»Bodo genannt der Rote«, »Wildledermantelmann«, später »Rondo Pastorale«) und ihre drogengetränkte Apolitik (»Die Wallfahrt zum Big Zeppelin«) mit den Mitteln der Kunst attackiert, greift Süverkrüp die »kritische Kritik« (Marx) der »Revolutionäre der Phrase« (Lenin) unnachahmlich an. Die von sexrebellischen Avantgardisten zu maoistischen und anderen Sektierern gewendeten Linken zieht er in »Die Kunst, Andersmeinende für den Sozialismus zu gewinnen« durch den Kakao: »Nehm‹ wir mal an: kommt ein Hüttenarbeiter, / Nachtschicht aus, abgeschlafft, grau undsoweiter … / Das trifft sich gut! / Dieser Mann hat ein ganz / genuines Bedürfnis / nach kühnen Gedanken / gewaltiger Ebbe und Flut. / Wir machen keinerlei Umschweif und legen / die Agitation sehr breit an. / Und nehmen nicht falsche Rücksicht auf Sorgen / um kleinlichen Kleinbürgerkram. / Was sollen uns Arbeitsplatz-, Raten-, Umschulungs-, / Lohn- und Gewerkschaftsklagen? / Die objektiven Verhältnisse werden / verschleiert durch solcherlei Fragen. / Durch Massenmedien ist heutzutage / jedwede Meinung gelenkt. / Darum heißt unser erstes Gebot: Ignorieren, / was der Mann denkt! / Weil: es ist sowieso falsch.«

Baggerführer Willibald

Der Kommunismus ist für Süverkrüp, wie für den Lyriker Peter Maiwald, mit dem er in der gemeinsamen DKP-Kreisgruppe unter dem Vorsitz von Hans Blumenthal aktiv ist, eine Sache des ganz konkreten Proletariats. So schildert er es auch in »Grade hatten sie frisch tapezieren lassen« (1972), das im Refrain fragt: »Warum wird so einer Kommunist?« (»Wo er die Folgen vorausahnen müsst, wie das dann ist«.) Maoistische und andere Ultrarevolutionäre beschimpften die DKP und ihren Ansatz als reformistisch, auch weil sie den Realsozialismus verteidigten, so wie Süverkrüp in »Der Sozialismus, Genossen …« von 1976: »Da! Das ist unser Sozialismus!«

Süverkrüps Lieder sind anspruchsvoll, musikalisch wie textlich. Sie sind das Werk eines eingreifenden Intellektuellen, der, weil für ihn die Wahrheit immer konkret ist, viel Zeitgeschichtliches verarbeitet. Manche subversiven Boshaftigkeiten wie »Demokratie« auf »hihihihihihihi« zu reimen, funktionieren auch heute noch. Das Gleiche gilt für den zeitlosen marxistischen Kinderlied-Klassenhauer »Der Baggerführer Willibald«, den Dreijährige heute noch begeistert mitträllern. Oder für das Kindermusical »Das Auto Blubberbumm«.

Viele andere Lieder erschließen sich aufgrund ihrer Anspielungen indes nur durch historisches und literarisches Wissen. Man muss wissen, was Hallstein-Doktrin und Notstandsgesetze waren, um das epische Lied »Fröhlich isst Du Wiener Schnitzel« zu begreifen, aber dann versteht man die BRD auf dem Weg in die Große Koalition von 1966. Man muss wissen, wofür Heinrich Lübke stand, um den »Kinderchor für den sauerländischen Zwergbahnhof« (1966) und »Hearing, Duett« (1967) zu verstehen, dann aber fächert sich eine Epoche vor dem geistigen Auge auf. Man muss wissen, was die »Kuba-Krise« war, aber dann bringt der »Landesvorratssong« (1964) das gesellschaftliche Klima in Erwartung von Atomkrieg und nuklearem Winter nahe.

Mit seinen Liedern prägt Süverkrüp die Kulturpolitik der DKP. Obwohl die Partei so klein ist, stellt ihre Kulturarbeit im Hinblick auf ihre Reichweite und ihren Einfluss unter den Intellektuellen und Künstlern alles in den Schatten, was die viel größere Linkspartei heute zustande bringt. Ihr Zentrum ist das Pressefest der Parteizeitung Unsere Zeit. Auf das allererste auf den Düsseldorfer Rheinwiesen kommen 700.000 Besucher.

Das Verhältnis der Kunst zur kommunistischen Politik umreißt Süverkrüp auf dem 1976er Parteitag in Bonn. In seinem Referat unterstreicht er die Bedeutung der Kunst für den Klassenkampf: »Aber Karl Marx, zu einer Zeit, da er schon längst Marxist war, las immer schon eifrig in den Werken von Aischy­los und Shakespeare, Goethe und anderen. Soll man das als eine bloße Angewohnheit betrachten, die man ihm angesichts seiner gewaltigen wissenschaftlichen Leistung ruhig verzeihen kann? Denn zum Entdecken der Wertgesetze hätten ihm ja wohl seine ökonomischen Kenntnisse ausreichen müssen – und um darauf zu kommen, diejenigen der Philosophie. Oder brauchte er, um des Mächtigen so bedingungslos auf die Schliche zu kommen, um so unnachgiebig sein Ziel zu verfolgen – brauchte er da, neben universaler Einsicht in die Menschheitsgeschichte auch einen begeisternden Entwurf für das, was dereinst den Menschen in ihrer Geschichte möglich sein werde? Wenn ja, muss ein solcher Entwurf nicht notwendig aufbauen auf anderen großen Entwürfen, wie sie eben zum Beispiel in der Weltliteratur zu finden sind?« Für die Kommunisten seien »Kunst und Politik keine Widersprüche. Wir meinen den Spaß, den der ganze Mensch hat: Klavierkonzert und Schwoof, Literatur und Sport, und auch ein Frauenbildnis ist uns politisch. Der Gegner hält ja sogar die Rostbratwürstchen des Pressefestes für Politik; er ist nicht dumm, wir sollten von ihm lernen.« »Ich war immer recht froh«, sagt Süverkrüp heute rückblickend, »wenn ich für die Fragen, die da (in der Partei) auftauchten, für mein Publikum die richtige Form fand durch meine Chansons.«

Als Künstler ist er auch aktiv in der Düsseldorfer Parteigruppe. Über die Parteisitzungen sagt er rückblickend: »Das sind richtig schöne Erinnerungen für mich, kluge Leute, voller Witz.« Aber anders als Franz Xaver Kroetz, Maiwald oder Peter Schütt tritt er nicht als Kandidat zu Wahlen an.

Gegen Biermann

Als Süverkrüp unter Druck steht, sich mit seinem »Kollegen« Wolf Biermann zu solidarisieren, der in der DDR nicht auftreten darf und 1976 ausgebürgert wird, weigert er sich. Der Feuilletonchef der FAZ, Marcel Reich-Ranicki, drängt ihn 1973: »Ich habe Sie richtig verstanden, Herr Süverkrüp, Sie haben also Verständnis dafür, dass man in der DDR dem Biermann verbietet aufzutreten und zu singen?« Süverkrüps Antwort: »Solange er Lieder schreibt, wie er sie im Augenblick schreibt und singt – natürlich.«

Angesichts seiner Solidarität mit dem Sozialismusversuch in der DDR erscheint Süverkrüp manchen als Hardliner, anderen als konsequent. Ganz gleich, wie man es bewertet, einen Mangel an Mut kann man ihm nicht absprechen in einem Land, das vier Jahre nach DKP-Gründung mit dem gegen die Partei gerichteten »Radikalenerlass« wieder Berufsverbote verfügt. Noch dreißig Jahre später wird der Marburger Politikwissenschaftler Georg Fülberth anlässlich des 75. Geburtstags von Degenhardt auch ihm danken: »Als Biermann 1976 ausgebürgert wurde«, habe es »nicht viel mehr als drei vernünftige Stellungnahmen« gegeben. Die eine sei von Peter Hacks gewesen, die andere von Süverkrüp, die dritte von Degenhardt. Das sei »nicht vergessen«.

Aber Süverkrüp ist kein jasagender Apparatschik. In den 1980er Jahren führt dies auch zu einer kurzzeitigen Verstrickung in die Gründung der innerparteilich-oppositionellen »Düsseldorfer Debatte«, die mit Parteiausschlüssen ihrer Urheber – Maiwald und Michael Ben, beide aus Süverkrüps Parteigruppe, und Thomas Neumann – endet. Während aber Maiwald ausgeschlossen wird und als Lyriker mit Reich-Ranickis Hilfe groß rauskommt, bleibt Süverkrüp in der Partei. »Die Verbindung zwischen Maiwalds Lyrik und Politik« sei, so der Düsseldorfer Kommunist und Weggefährte Hermann Kopp, »anders als bei Süverkrüp und Degenhardt sehr viel schwerer herzustellen. Sie waren sehr engagierte politische Köpfe, der Maiwald war eher ein Gefühlskommunist, kein gebildeter Marxist, wie das der Süverkrüp war.«

Heute wird Süverkrüp 90 Jahre alt. Ein Bruder im Geist, ein anderer Ausnahmekünstler und Freiherauskommunist, Tom Morello, der heute seinen 60. Geburtstag feiert (herzlichen Glückwunsch!), sang einmal das Lied von der »One Man Revolution«, wie sie Süverkrüp verkörpert: »In my nightmares the streets are aflame / And in my dreams it’s much the same / And on the streets of LA they know my name / And if you’ve come this far, mister, maybe we’re one and the same. / I’m a one man, I’m a one man, I’m a one man revolution.« Aber ganz allein ist man ja nie, schon gar nicht als Kommunist.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt v. 30.05.2024