AK-Nahost-Hintergründe 2025-01-29

1. Bremen
– Fr. 31.1. um 19 Uhr Film: „Farha“: arabisch mit engl. Untertiteln. Der Film spielt im Jahr 1948 zur Zeit der Nakba und basiert auf einer wahren Geschichte.   Paradox, Bernhardstr. 12
Info: https://perspektive-online.net/2022/12/farha-ein-film-ueber-palaestina-die-nakba-und-das-patriarchat/

2. BIP-Aktuell #334: Operation Eiserne Mauer. Wie immer liefert BIP eine gute Analyse der aktuellen Situation: https://mailchi.mp/80f978535273/bip-aktuell-334-operation-eiserne-mauer?e=9c1e521ac0
Dort heisst es:
Israels neu ernannter Verteidigungsminister Israel Katz (BIP-Aktuell #325) nutzte den Waffenstillstand als Ablenkungsmanöver und ordnete die Freilassung Hunderter gewalttätiger Siedler an, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert waren. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt ordnete Präsident Trump in den USA die Aufhebung der Sanktionen gegen gewalttätige israelische Siedler an. Diese beiden Maßnahmen führten dazu, dass die Siedler sofort zu brutalen Pogromen gegen Palästinenser aufbrachen. Das israelische Militär folgte schnell, um die Siedler zu schützen und sich an der wahllosen Gewalt zu beteiligen.
Die israelischen Streitkräfte haben nach der Freilassung von 90 Gefangenen im Rahmen des Austauschabkommens mit der Hamas wieder 64 Palästinenser verhaftet. Israelische Soldaten und Siedler haben im Januar mindestens 34 Palästinenser im Westjordanland getötet, mindestens 13 von ihnen seit Inkrafttreten der Waffenruhe im Gazastreifen.
Bereits vor der Waffenruhe im Gazastreifen war Jenin Schauplatz bewaffneter Zusammenstöße zwischen palästinensischen Widerstandsgruppen und der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die palästinensische Polizei hat drei Menschen getötet: eine Frau, einen Vater und seinen Sohn. Außerdem belagert die Palästinensische Autonomiebehörde seit Anfang Dezember das Flüchtlingslager Jenin und hat den meisten Bewohnern das Wasser und den Strom abgestellt, um angeblich „Recht und Ordnung“ im Westjordanland wiederherzustellen.

3. Breaking the Silence hat einen neuen Brief geschickt. https://mailchi.mp/breakingthesilence/there-is-no-liberty-in-occupation-7227086?e=007abfd22d
Dort heisst es:  Last week, Netanyahu said that Trump and Biden both gave “full backing to Israel’s right to return to fighting if Israel concludes that the negotiations on the 2nd phase are going nowhere.
Die Westbank soll wie Gaza behandelt werden: Smotrich says “Funduq, Nablus and Jenin need to look like Jabalya,”
Weiterhin gibt es Aussagen von Soldaten über den letzten Tag vor dem Waffenstillstand.

4. Für die Statistik bzw. Argumentation: Am23.1. in der FR: Militäreinsatz in Dschenin. „Laut palästinensischem Gesundheitsministerium töteten israelische Soldaten oder Siedler seit dem Hamas-Überfall im Oktober 2023 mindestens 848 Palästinenser:innen in der Westbank. Israelischen Angaben zufolge wurden in derselben Zeit bei palästinensischen Angriffen mindestens 29 Israelis getötet.

5. Der Luxemburger Claude Gregoire, Mitglied des Komitees für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, hat im luxemburgischen Tageblatt einen Artikel geschrieben, der sie Kritik an Israel sehr gut zusammenfasst: Oradour-sur-Gaza – Warum die EU riskiert, als Unterstützerin eines Genozids in die Geschichte einzugehen. In Oradour/Frankreich hatte die SS 1944 ein ganzes Dorf völlig zerstört und die Einwohner getötet. (s. Anlage

6. Spiegel-Interview. Der israelische Historiker und Völkermord-Forscher Omer Bartov über Auschwitz und die Folgen»Der Holocaust dient Israel als Lehre der Unmenschlichkeit«
Auszüge: : Israel hat die Erzählung verbreitet, dass jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Israel kann also tun und lassen, was es will, denn wer es kritisiert, ist antisemitisch. Vor allem als Deutscher muss man sich über solche Vorwürfe Sorgen machen.
Die Menschen (in Israel) leben in ständiger Angst, ausgelöscht zu werden, was ja unnötig ist: Die von der Hamas begangenen Taten waren schrecklich, aber sie haben nicht die Existenz Israels gefährdet. Die Hamas ist dazu nicht der Lage.
Bei Gesprächen mit den meisten Menschen in Israel stellt man fest, dass sie die Ereignisse in Gaza nicht interessieren. Sie sind gleichgültig. Denn sie sind völlig in ihrem eigenen Gefühl des Opferdaseins, der Gefahr eines Völkermords versunken. Deshalb können sie nicht sehen, was in ihrem Namen, was von ihren eigenen Kindern, ihren eigenen Enkeln oder von ihnen selbst getan wird. Sie sind zu keinerlei Empathie fähig.
Der wichtigste Kontext ist, dass Israel nie bereit war, rational die Tatsache zu bedenken, dass es sich palästinensisches Land angeeignet hat. Und seit 1967, also für den größten Teil seiner Existenz, hält Israel eine große Zahl von Palästinensern unter Besatzung. Der Kontext ist also die Unfähigkeit, die mangelnde Bereitschaft der meisten Israelis, Palästinenser als Mitmenschen zu betrachten, die ähnliche Rechte, Freiheit, Gerechtigkeit und Würde haben sollten.
…der Holocaust dient den jüdischen Israelis dazu, sich selbst als außerhalb jeglicher moralischer und ethischer Grenzen, die für andere Menschen gelten, zu begreifen. Sie leben in einem Staat, der Millionen von Menschen besetzt, demütigt und unterdrückt. Einem Staat, der nicht bereit ist, über einen Ausweg nachzudenken, welcher nicht noch mehr Unterdrückung und Gewalt bedeutet. Das können Menschen nur rechtfertigen oder ignorieren, indem sie sich auf den Holocaust berufen: Nach dem, was uns angetan wurde, können wir tun, was wir wollen. Und die Nichtjuden haben kein Recht, uns zu sagen, wie wir uns zu verhalten haben, weil sie tatenlos zugesehen haben, als wir ermordet wurden.
Deutschland hat Jahrzehnte gebraucht, um sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Viele Menschen haben dafür sehr hart gearbeitet. Aber momentan zieht Deutschland aus seiner Vergangenheit die falschen Lehren: Nicht Israels Sicherheit sollte Deutschlands Staatsräson sein, sondern das humanitäre Völkerrecht sollte die wichtigste Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg sein. Die deutsche Regierung und ein Großteil der intellektuellen und akademischen Elite haben sich so sehr der Vorstellung verschrieben, dass sie Israel um jeden Preis unterstützen müssen, dass sie damit zur Schwächung der israelischen Demokratie beitragen. Ich empfinde es als tragisch, dass Menschen in Deutschland den Antisemitismusvorwurf so verwenden, dass Menschen wie ich, die Israel sehr kritisch gegenüberstehen, als antisemitisch bezeichnet werden können. Darin liegt nicht nur eine Ironie, sondern auch eine große Tragik, weil dieser Vorwurf als Mittel dient, um Menschen zum Schweigen zu bringen. Und das wird zum Anstieg des Antisemitismus beitragen.

7. Peter Beinhart, Professor für Journalismus und Politikwissenschaft an der City University of New York, war früher ein glühender Zionist und intellektuelles Sprachrohr der Juden in den USA. Er hat im laufe der letzten Jahre eine völlige Wandlung vollzogen und sagt in seinem neuen Buch, „Being Jewish After the Destruction of Gaza: A Reckoning“ über das Jüdischsein nach der Zerstörung Gazas „Ein moralisches Wrack, dem wir uns stellen müssen“. https://www.theguardian.com/world/ng-interactive/2025/jan/27/israel-gaza-us-jews-peter-beinart

8. Lothar Zechlin, Emeritus für Öffentliches Recht an der Universität Duisburg-Essen und ehemaliger Rektor deutscher und österreichischer Universitäten, schreibt in der FAZ „Zur geplanten Bundestagsresolution gegen Antisemitismus an Hochschulen und Schulen – Vertrauen ist besser!“ (s. Anlage)
Dort heisst es u.A.: (Eine)Untersuchung einer Konstanzer Forschungsgruppe aus dem Jahr 2024 belegt, dass der allgemeine Antisemitismus unter Studenten mit acht Prozent deutlich geringer als in der Gesamtbevölkerung mit achtzehn Prozent verbreitet ist. Das German Internet Panel der Universität Mannheim kommt sogar zu dem Ergebnis: „Der an das junge, linke und akademische Milieu gerichtete Antisemitismusvorwurf ist vorschnell – tatsächlich handelt es sich um die am wenigsten antisemitisch eingestellte Gruppe in Deutschland.“…Wenn trotz dieser Befunde die Politik meint, die Hochschulen ermahnen zu müssen, drückt sie ihnen damit ihr Misstrauen aus. Der Grund hierfür findet sich in einem weiteren Ergebnis der Mannheimer Untersuchung, nämlich der Aussage: „Was junge, linksorientierte Menschen mit Hochschulabschluss tatsächlich auszeichnet, ist eine ausgeprägte propalästinensische Haltung.“

9. Der amerikanisch-palästinensische Journalist und Mitbegründer der Online-Plattform „Electronic Intifada“, Ali Abunimah, kam zu Vorträgen in die Schweiz und wurde dort als „Judenhasser und Hamas – Befürworter“ verhaftet und nach 2 Tagen abgeschoben. Viele Einzelpersonen (u.A. Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete) und Organisationen (u.A. Amnesty International) hatten sich für ihn eingesetzt. Hier sein Bericht: https://www.youtube.com/watch?v=hGsMNLIteXw

10. Die Schweizer Staatsanwaltschaft prüft Strafanzeigen, darunter eine von Legal Action Against Genocide, in der der israelische Präsident Isaac Herzog während seines Besuchs in Davos der „Anstiftung zum Völkermord“ in Gaza beschuldigt wird. https://www.palestinechronicle.com/incitement-to-genocideswiss-prosecutors-review-complaints-against-israeli-president/

11. Etwas Geschichte: Ein deutscher Kaiser, der Verständnis für eine fremde Kultur und Religion hatte war Friedrich II.  Aus dem Buch Der Heilige Krieg der Barbaren: Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber von Amin Maalouf (dtv 2003):
„Um sich zu vergewissern, ob dieser deutsche Kaiser wirklich so möchtig sei wie man ihm nachsagt, sendet der Herrscher über Ägypten eine von den „feinen Diplomaten“ geleitete Botschaft nach Palermo. Was der Diplomat Emir Fakhreddin Ibn ach-Scheikh von Beginn seiner Ankunft in Palermo meldet, verblüfft den Sultan: „ja, alles was man über Frederic sagt, stimmt, er spricht und schreibt perfekt arabisch, verbirgt nicht seine Bewunderung der muslimischen Zivilisation…, Seine engsten Mitarbeiter sind Araber, einschließlich seiner kaiserlichen Garde, die sich zu Gebetszeiten gegen Mekka wenden. Nach seiner Jugend in Siziilien, dem  Zeintrum arabischer Wissenschaften hat dieser neugierige Geist nichts gemein mit der stumpfsinnigen und fanatischen Art der Franken. In seinem Königreich erschallt der Fuf des Muezzins ohne Behinderung…“

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