
Wir können uns alle an die große Freude erinnern, die wir anlässlich der Unterzeichnung der Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Israel und Palästina empfunden haben. Vielleicht hat der eine oder andere auch Bilder von Kindern gesehen, die vor lauter Freude lachten und tanzten.
Es gab jedoch auch nachdenkliche, skeptische und mahnende Stimmen, die einiges zu bedenken gaben.
So zum Beispiel, dass der Deal keine Souveränität für das palästinensische Volk bringen wird, dass er der reinste Ausdruck von Neo-Kolonialismus ist, dass man sich fragen müsste, ob nicht auch Israel eine ent-radikalisierte, terrorfreie Zone werden müsste, die keine Bedrohung für ihre Nachbarn darstellt – dies wird ja von Palästina verlangt. Warum nicht auch von Israel?
Oder zum Beispiel, dass die 1.700 in Israel Inhaftierten, die laut sogenanntem Friedensplan freigelassen werden sollten, nur ein Bruchteil der Palästinenser darstellen, die zT ohne Anklage und Urteil inhaftiert sind darunter etwa 450 Kinder unter 14 Jahren. Warum fragt sich eigentlich niemand, warum Kinder überhaupt inhaftiert wurden? KINDER!!
Oder dass so wichtige Fragen wie das Rückkehrrecht der Palästinenser, Reparationen, Siedlungsbau usw. im sogenannten Peace Plan nicht behandelt wurden.
Oder dass die Tatsache, dass Hilfslieferungen an die Verhungernden an das Akzeptieren dieses Abkommens gekoppelt sind,“Erpressung“ genannt werden kann. „Gebt die Waffen ab oder Ihr hungert weiter!“
Und die grundsätzlichste aller Überlegungen und eigentlich auch Selbstverständlichkeiten, nämlich dass die Palästinenser selbst darüber entscheiden sollten, was aus ihrem Land wird welche Art der Regierung und Staatsform sie sich wünschen, wie der Wiederaufbau gestaltet werden soll und noch vieles mehr, wurde in dem sogenannten Peace Plan auch nicht berücksichtigt. Stellen wir uns das mal vor: Da handelt der das Land besetzende Aggressor der Besatzer, Israel und sein Verbündeter, die USA, einen Friedensplan aus, ohne die Vertreter des besetzten Landes an der Ausgestaltung dieses Friedensplans teilhaben zu lassen. Das ist Menschenverachtung, Neo-Kolonialismus, Heuchelei und Arroganz in Reinform.
Und natürlich wiesen diese Mahner auch darauf hin, dass Israel eine lange Geschichte gebrochener Abkommen und Waffenstillstandsvereinbarungen hat. So zB im Januar 25 beim von Qatar, Ägypten und USA vermittelten Waffenstillstand. Oder der Iran-IsraelWaffenstillstand im Juni 25 , den Israel verletzte. Dann der Luftangriff Israels auf Doha in Qatar im September dieses Jahres, wo sich Hamasführer aufhielten, um einen Friedensplan zu diskutieren. Israel schreckt also nicht davor zurück, die Souveränität eines Drittlandes zu verletzen, das als neutraler Vermittler in einem Friedensprozess fungiert. Auch ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon im November 24 wurde von Israel gebrochen. Erinnern wir uns auch an die grausamen Pager-Angriffe Israels im Libanon, dem viele Unschuldige zum Opfer fielen. Dazu noch der Angriff auf das iranische Konsulat in Syrien … und so weiter und so fort …
Diese mahnenden Stimmen fragten sich also folgendes: Einem Land, das immer wieder Waffenstillstandsvereinbarungen bricht, das andere Länder heimtückisch und hinterrücks, teilweise sogar während Verhandlungen angreift, das Hilfslieferungen aus dem Ausland nicht ins Land lässt, das Teilnehmer einer Flotilla, die Hilfsmittel bringen wollte, entführt, ohne Anklage inhaftiert und foltert diesem Land sollen die Palästinenser nun vertrauen, dass es die Vereinbarungen wirklich einhalten wird? Sie sollen Politikern glauben, dass „alles gut“ sein wird, sobald die Hamas entwaffnet und entmachtet wurde? Wieso sollten sie das glauben? Israel hat bisher keinen Anlass dazu gegeben, seiner Vertrauenswürdigkeit zu vertrauen.
Waren diese mahnenden, warnenden Stimmen einfach nur Israelhasser, die einfach nicht aufhören konnten, gegen Israel zu hetzen? Nein, denn sie haben in jedem einzelnen Punkt recht behalten.
Im Westjordanland greifen weiterhin bewaffnete illegale Siedler die einheimische Bevölkerung an, Netanjahu und andere hohe Politiker äußern weiterhin öffentlich, dass es nie einen palästinensischen Staat geben wird, von den zugesagten Hilfslieferungen wird nur ein Bruchteil ins Land gelassen und das Morden und Massakrieren der palästinensischen Bevölkerung geht weiter täglich. An einem einzigen Tag zum Beispiel ermordeten die Israelis 104 Menschen, darunter 46 Kinder, mitten im Waffenstillstand.
Das sind durchschnittliche Zahlen, selbst nach dem sogenannten Waffenstillstand. Israel begründet den Bruch des Waffenstillstandes zum Teil damit, dass die Hamas noch nicht alle Leichname der Geiseln zurückgegeben habe. Obwohl die Hamas bereits vor der Unterzeichnung darauf hingewiesen hat, dass es schwierig sein würde, unter den Trümmern alle verstorbenen Geiseln zu bergen, besteht Israel auf der Übergabe. Und verhindert gleichzeitig die Suche nach den Geiseln, indem es kein schweres Gerät ins Land lässt, mit dem die Schutthaufen beiseite geräumt werden könnten. Und dass Israel für die Trümmerhaufen verantwortlich ist, unter denen israelische Geiseln nach wie vor begraben liegen, muss wohl nicht extra erwähnt werden.
Lassen Sie mich noch von der sogenannten „Gelben Linie“ erzählen. Dies ist eine von den Israelis willkürlich gezogene Grenze, die die Palästinenser nicht übertreten dürfen, wohl gemerkt, im eigenen Land. Das Problem ist, dass diese Linie an vielen Orten nicht etwa ein Zaun ist oder eine sonstige deutlich sichtbare Markierung. Nein, diese „Linie“ besteht streckenweise aus Betonblocks, die 200 Meter weit auseinander stehen. Wie soll man da eine „Linie“ oder Grenze erkennen, zumal zu Beginn des Waffenstillstands selbst diese Markierungen entfernt wurden? Es gibt sogar Berichte darüber, wie Ben Gvir vorschlägt, nicht nur auf Erwachsene, sondern auch auf Kinder zu schießen. In diesem Zusammenhang sagte er Berichten zufolge: „Israel muss aufhören, barmherzig zu sein.“ Wer also diese unsichtbare Linie überquert, ist Freiwild und wird abgeschossen. So zum Beispiel ein Auto mit 11 Insassen, darunter 7 Kinder. So viel zur Barmherzigkeit der Israelis.
Die westliche Öffentlichkeit wacht nun endlich langsam auf und beginnt, Israels Verhalten zu kritisieren und zu hinterfragen. Umfragen zeigen, dass Israel in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit so schlecht wie nie dasteht. Selbst in den USA mehren sich kritische Stimmen, vor allem unter den jungen Menschen, und unter den US-Wählern sympathisieren mehr Menschen mit den Palästinensern als mit den Israelis zum ersten Mal in der Geschichte der USA. Donald Trump äußert, Bibi sei „sehr weit gegangen und Israel hat weltweit viel Unterstützung verloren“.
Jeder normale, gesunde Mensch, jede normale, gesunde Regierung würde nun vielleicht aufhorchen und ihr Tun hinterfragen. Nicht so Israel und die USA. Israel erhöht sein Propagandabudget und zahlt Influencern in den sozialen Medien vierstellige Beträge, um Israels Handlungen zu rechtfertigen. Donald Trump äußert, er müsse die etwas außer Kontrolle geratenen Israelis zügeln und jetzt all diese Unterstützung zurückgewinnen.“
Und wie macht man das am besten? In der Propaganda gibt es zwei Möglichkeiten: Sich selbst gut darstellen oder den Konkurrenten schlecht machen. Sich selbst gut darstellen ist gerade etwas schwierig, mit all den ermordeten, verhungernden, gefangenen Palästinensern und den Bildern davon, die um die ganze Welt gehen. Da ist es doch viel einfacher und auch weniger anstrengend, den Gegner zu diffamieren. Also fahren sowohl Israel als auch die USA gerade groß angelegte Kampagnen, um weltweit die Islamophobie wieder und weiter zu schüren. Es tauchen vermehrt posts in den sozialen Medien und auch Fernsehsendungen auf über die angebliche „Islamisierung Europas“ und die Gefahr, die damit angeblich für Europa einhergeht, was laut Naftali Bennett auch dramatische Konsequenzen für Israel haben wird. Israel stellt sich also als das arme Opfer dar.
Täter-Opfer-Umkehr ist eine bewährte Methode der Hasbara, der israelischen Propaganda. Sie haben sogar extra ein Wort dafür …
Fallen wir nicht auf diese Propaganda herein. Das Land, das Terror in seinen Nachbarländern verbreitet, ist Israel. Das Land, das Erwachsene und Kinder, Junge und Alte, Verhungernde und Kranke ermordet, ist Israel. Das Land, das trotz eines Waffenstillstandes Bomben auf hilflose Zivilisten abwirft, ist Israel. Das Land, das Hilfstransporte daran hindert, ins Land zu kommen, ist Israel. Das Land, das einen Völkermord begeht, ist Israel.
Fallen wir nicht auf seine Propaganda herein.
Den Kindern, von denen ich anfangs erzählte, ist das Lachen und Tanzen vor Freude über den Waffenstillstand sicher schnell vergangen. Ob sie überhaupt noch leben? Ich weiß es nicht.