Gedanken einer Rednerin anlässlich des Besuchs der Gaza Flotilla in Bremerhaven
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir haben heute die große Freude und die Ehre, hier in Bremerhaven die Gaza Flotilla begrüßen zu dürfen. – Ein kleines Schiff mit einer mutigen Besatzung, die sich auf den Weg gemacht hat, die israelische Blockade zu durchbrechen und als ein Zeichen der Solidarität Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, die so dringend benötigt werden, noch mehr jetzt, wo nach mehreren Anschlägen auf die UN-Hilfsorganisation in Jerusalem durch radikale Israelis diese aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde.
Dass die Flotilla hier in Bremerhaven angelegt hat, ist auch für die Menschen in dieser Stadt ein besonderes Ereignis und hat einen hohen symbolischen Wert, weil Bremerhaven wie viele andere bedeutende deutschen Häfen an Nord- und Ostsee leider ansonsten kein Friedenshafen ist, sondern eine wichtige Drehscheibe für Rüstungsexporte und Rüstungsumschläge. Das Land Bremen selbst, und dazu gehört Bremerhaven auch, ist eine Hochburg der Rüstung. Prozentual hat Bremen die höchste Rüstungsdichte. 7% der Rüstungsgüter, die in Deutschland gefertigt werden, stammen aus Bremen. Viele Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt von der Rüstung ab. Fast alle großen deutschen Rüstungsfirmen produzieren hier. Bremen als Land profitiert auch noch auf eine andere Weise von der Rüstung. Die BLG, das wichtigste Logistikunternehmen Bremen, gehört zu über 50% der Stadt. Über 20.000t Rüstungsgüter waren das alleine im Jahr 2022, die hier von der BLG umgeschlagen wurden und an jedem Verladeprozess verdient die Stadt.
Dabei werden als Rüstungsgüter nur Gefahrengüter deklariert. Alles, was auf dem Transport selbst nicht gefährlich ist, weil es kein explosives Material enthält, kann in beliebiger Stückzahl ein- und ausgeladen werden, ohne in der Statistik aufzutauchen. Letzteres geschieht in den letzten Jahren verstärkt. Erst waren es große Teile der US-Ausrüstung für das Manöver Defender 2020 und seit 2022 Waffen, Panzer und gepanzerte Fahrzeuge für den Krieg in der Ukraine die hier entladen und auf Lkws gen Osten weitertransportiert werden. Wie viele Schiffe das sind, die hier ankommen, variiert, die Bundesregierung lässt den USA freie Hand. Im Hafen weiß man nur bescheid, weil man die Infrastruktur braucht. Im Schnitt ist es ein Schiff pro Woche, während der großen Manöver können es auch mehr sein, dann stehen schon einmal mehrere hundert Panzer und gepanzerte Fahrzeuge im Hafen herum und warten auf den Weitertransport. Ein Transportschiff der US-Marine fasst eine ganze US-Brigade mit etwa 2000 Panzern und gepanzerten Fahrzeugen, die entweder über die Straße oder nach dem Umladen auf andere Schiffe über Skagerrak in die östliche Ostsee befördert werden. So spart man sich die halbe Wegstrecke über Land bis in die Ukraine.
Seit dem Unglück an der Huntebrücke kann Bremerhavens Rolle als Umschlagplatz für explosive Gefahrenstoffe wie Munition womöglich noch bedeutender werden. Bislang ist es nämlich so, Dass die meisten Explosivstoffe aus den USA in Nordenham im größten Privathafen Midgard entladen werden, der über eine Sondergenehmigung verfügt. Die Schiffe fahren dann weiter nach Bremerhaven, wo sie Panzer und den Rest entladen. Jetzt, wo es seit Wochen ernsthafte Probleme gibt, die Güter von Nordenham wegzubringen, gibt es die Überlegung, Bremerhaven ebenfalls eine Sondergenehmigung zu erteilen. In einem Hafen, in dem nebenan zivile Güter verladen werden und wo Kreuzfahrtschiffe mit Tagestouristen anlegen, ein unkalkulierbares Risiko. Ich erinnere nur an die Explosion im Hafen von Beirut mit 207 Toten und 6500 Verletzten im Jahr 2020, von dem sich die Stadt bis heute nicht erholt hat.
Auch ohne die genauen Zahlen zu kennen, können wir davon ausgehen, Dass über den Bremer Hafen auch Rüstungsgüter nach Israel geliefert werden, da in den Bremer Rüstungsfirmen auch Kriegsgerät für Israel produziert wird. So hat die Lürssen Werft in den letzten Jahren mehrere Schnellboote für die israelische Armee gebaut. Wobei noch zu sagen ist, Dass sich Deutschland an diesem Waffengeschäft beteiligt hat, sprich, es hat knapp einen Drittel des Kaufpreises übernommen. Im Klartext heißt das, dass deutsche Steuerzahler Israels Kriegsmaschinerie direkt aus ihren Steuergeldern bezahlen! Zur Begründung hieß es, Deutschland sei der Sicherheit Israels besonders verpflichtet. Im Jahre 2017 löste der Deal Kritik aus, weil Netanjahu selbst sich damals schon wegen Bestechungsvorwürfen vor Gericht zu verantworten hatte.
Solche Rüstungsexporte sind auch deswegen äußerst problematisch, weil sie der Bremischen Verfassung widersprechen. Dort heißt es: „Die Freie Hansestadt Bremen bekennt sich zu Demokratie, sozialer Gerechtigkeit, Freiheit, Schutz der natürlichen Umwelt, Frieden und Völkerverständigung. Sie fördert die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit, die auf den Aufbau nachbarschaftlicher Beziehungen, auf das Zusammenwachsen Europas und auf die friedliche Entwicklung der Welt gerichtet ist….!“ Zu mehr als dieser schwammigen Formulierung hat es nicht gereicht. In einem offenen Brief hatte das Bremer Friedensforum einige Vorschläge an die damalige Koalition, an der auch Friedensfreunde aus der Linken beteiligt waren, gerichtet. Die Vorschläge lauteten u.a.:
- die Stelle eines Beauftragten für Rüstungskonversion beim Senat wieder einzurichten
- einen Lehrstuhl für Friedensforschung an der Uni Bremen einzurichten
- die Erhaltung der Zivilklausel für die Hochschulen zu sichern
- keine Militärtransporte für NATO-Manöver über Bremerhaven zuzulassen
- die Bremischen Häfen für Exporte von Waffen und Munition zu sperren
Wie sich zeigt, sind diese Forderungen dringlicher als noch vor fünf Jahren. Und obwohl die Hafensenatorin selbst aus der Linkspartei kommt, stößt man mit Ideen für die Umwandlung der Bremer Häfen in zivile bei der bremischen Landesregierung auf taube Ohren. Und selbst wenn sie wollte, könnte die Bürgerschaft diese Forderungen aus der Friedensbewegung nicht umsetzen. In Hamburg hat es in den letzten Jahren den Versuch für eine Bürgerbegehren für zivile Häfen gegeben. Man war sogar schon ziemlich weit gekommen und hatte weit mehr Unterschriften gesammelt, als eigentlich notwendig waren. Dann klagte der Senat und bekam Recht. Das VG Hamburg hatte mit der Begründung abgelehnt, solch ein Anliegen verstoße gegen „Höhere Interessen“ und außerdem sei für Regelungen um Kriegswaffen die Bundesregierung zuständig und ein Verbot zum Transport von Kriegsgerät würde gegen den Grundsatz der Bundestreue verstoßen. Nibelungentreue bis in den Tod!
Aber nicht nur in Hamburg, auch in anderen Hafenstädten rumort es. Nachdem letztes Jahr im September gefordert wurde, Bremerhaven solle noch kriegstüchtiger werden, fand einen Monat später in Bremerhaven eine Demo für zivile Häfen statt. Doch es blieb nicht dabei, inzwischen haben sich Friedensgruppen aus ganz Norddeutschland zusammengeschlossen, u.a. um gemeinsam gegen den Missbrauch der Häfen für militärische Zwecke zu protestieren.
Was noch viel zu schwach ist, ist die Teilnahme der Bevölkerung an den Protesten. Bremerhaven ist heute eine arme Stadt, Lehe mit einer Armutsquote von 33% der ärmste Stadtteil Deutschlands. Gute Arbeit ist Mangelware, die Logistikbranche und der Hafen sind die wichtigsten Arbeitgeber in dieser strukturschwachen Region. Jeder fünfte, indirekt sogar jeder dritte Arbeitsplatz hängt vom Hafen ab. Das setzt natürlich die Hafensenatorin unter Druck. Damit will ich sie nicht verteidigen, aber als Teil des Systems, das um seinen politischen Bestand fürchten muss, kann und will sie nicht riskieren, die Aufträge der Rüstungsindustrie und der Kriegslobby auszuschlagen. Die Gewerkschaften haben das Konzept der von Scholz eingeschlagenen Zeitenwende ebenfalls geschluckt und hauen in die gleiche Kerbe. Sie fordern für den Erhalt von Arbeitsplätzen mehr Rüstung, statt auf Rüstungskonversion und zivile Aufträge zu setzen. Die Wirtschaft in Deutschland ist in die Teufelsspirale des Krieges geraten, als die Politik mit dem Krieg in der Ukraine Sanktionen gegen Russland verhängte und kein russisches Gas mehr wollte. Das versetzte der zivilen Wirtschaft einen schweren Schlag. Im Hafen wurden im letzten Jahr 9% weniger Güter umgeschlagen als 2022 und ein Drittel weniger als im Rekordjahr 2012. Diese Verluste versucht man jetzt wenigstens teilweise durch Zuwächse bei der Rüstungsindustrie zu kompensieren. Dabei ist das eine Milchmädchenrechnung, denn diese Arbeitsplätze gibt es nicht umsonst. Olaf Scholz hat der Rüstungsindustrie das Versprechen von Planungssicherheit gegeben. Konkret heißt das, Dass sich die Rüstungsindustrie schon jetzt sicher sein kann, Dass auch in Zukunft zwei Prozent des Bruttosozialproduktes in die Rüstung fließen; 1 Euro von 50 für die wir hart arbeiten! Diese Arbeitsplätze, an denen das Blut der Menschen in Palästina, in der Ukraine und anderswo klebt, werden also ungefragt von uns finanziert! – Shame on you!!! Und noch etwas; große Teile unserer Infrastruktur wie Straßen und Brücken müssen so belastbar sein, Dass schwere Kettenfahrzeuge darüberfahren können müssen. Schon vor Jahren sprach eine Referentin davon, Dass große Anstrengungen unternommen werden, neue Straßen in den Osten zu bauen statt in den Süden, das den anvisierten Zielen europäischer Reisenden entspräche.
Die Menschen, die ihr Geld im Bremer Hafen verdienen, müssen das alles tagtäglich verdrängen. Aber die Militärtransporte, die inzwischen mehrmals wöchentlich durch die Stadt Bremerhaven rollen, machen immer mehr Menschen Angst. Ich selbst kann mir kaum vorstellen, wie das ist, wenn ständig Panzer auf Tiefladern an einem vorbeifahren. Ich weiß nur, wie schrecklich es ist, in letzter Zeit am Bahnhof von Rostock zu stehen und zu sehen, wie viele Uniformierte dort unterwegs sind. Man stelle sich einmal vor, man wohnt hier, bringt sein Kind zum Kindergarten und das Kind fragt. „Mama, was sind das für komische Fahrzeuge und wozu braucht man die?“ Was soll die Mutter da sagen? – Das sind Panzer, die braucht man, um im Krieg Menschen zu töten. Wie jetzt in Palästina. – Ich bin keine Freundin von Bildern von toten und verwundeten Kindern. Und ich höre immer wieder, wie jemand sagt. „Zeig mir keine Bilder, ich will keine Bilder sehen, dann kann ich nicht schlafen. Wir können nicht schlafen, weil wir ein Bild gesehen haben. Die Empfänger unseres Kriegsgerätes können nicht schlafen, weil sie ihre Angehörigen verloren haben, weil ihre Männer, Frauen und Kinder, von Kriegsgerät aus Deutschland verstümmelt wurde, weil sie kein Haus zum darin schlafen mehr haben, weil sie jede Minute um das eigene Leben fürchten müssen. Darum sollten wir jedem und jeder und nicht nur hier in Bremerhaven einmal mit Bilder aus Gaza konfrontieren. Sehen, wie ein Stadtteil aussieht, wenn da so ein Panzer die Gebäude mit allem Leben darin zerstört hat. Vielleicht erinnern sich dann einige ältere an Erzählungen aus ihrer Kindheit, wie es war, als Bremerhaven ein einziges Trümmermeer war, weil als Kriegshafen auch Kriegsziel. Vielleicht versteht der eine oder andere dann endlich, Dass Waffenhandel ein schlechtes Geschäft ist und das wir alles dafür tun müssen, Dass kein Geschäft mehr mit dem Tod gemacht wird.
Free Palestine!