„Steadfast, Capable, and Ready: Germany’s Security Renaissance and Transatlantic Defense”
1. “Ladies and Gentlemen!”
So begann der deutsche Kriegsverteidigungsminister Pistorius am 09. Mai 2024 seine vielgepriesene Rede an der School of Advanced International Studies (SAIS) der Johns Hopkins University/Washington unter Missachtung der Tatsache, dass die Zahl der Geschlechter in den USA wie überall in der sogenannten freien Welt auf „Ladies und Gentlemen“ nicht mehr reduziert werden darf. Doch halt, von einem Obergefreiten der Bundeswehr sollte man nicht erwarten, sich im Dschungel der Geschlechteridentitäten zurechtzufinden. Immerhin wissen wir von seiner ehemaligen Lebensgefährtin Doris Schröder-Köpf, dass er nicht zu toxisch-männlichen Gewaltausbrüchen neigt, was sie am 17. April 2023 der Bildzeitung verriet: „Er hinterlässt weder politisch noch privat verbrannte Erde.“
Dass er gleichwohl für das gewalttätige Amt geeignet ist, hat Pistorius im niedersächsischen Panzerübungsdreck bereits gezeigt, doch am 09. Mai 2024 konnte er in Washington/DC beweisen, dass er auch auf internationalem Parkett zu glänzen weiß, wenn es zum Beispiel darum geht, Amerika von der Treue und Dankbarkeit der Deutschen zu überzeugen:
„Yesterday, on May 8, I was at the tomb of the unknown soldier at Arlington National Cemetery. I laid down a wreath in memory of the end of World War II. On the date which officially marks the end of one of the darkest chapters in human history.”
Die deutsche Wehrmacht hatte zwar erst in der Nacht vom 08. Auf den 09. Mai 1945 durch Generalfeldmarschall Keitel in Berlin-Karlshorst in Anwesenheit von Georgi Konstantinowitsch Schukow – Sohn eines Bauern, Generalstabschef der Roten Armee und Marschall der Sowjetunion – die bedingungslose Kapitulation erklärt, doch an dieses Ereignis und an diesen Ort zu erinnern hieße an den Sieg der Sowjetunion und ihre Opfer zu erinnern, was vor dem Hintergrund der „brutalen und völkerrechtswidrigen Aggression Russlands gegen die Ukraine“ – so die amtlich verfügte informelle Sprachregelung – aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt werden muss, weshalb das offizielle Deutschland nur noch den Westalliierten und insbesondere den USA mit Kranzabwürfen und salbungsvollen Reden dafür dankt, „the darkest chapters in human history“ beendet zu haben.
Pistorius dankte am 09. Mai auch einem Land, das mit der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines am 26. September 2022 ein anderes „chapter in human history“, die gedeihliche deutsch-russische Kooperation, beendet und die deutsche Wirtschaft massiv geschädigt hat, um sie bis auf Weiteres in die Abhängigkeit von US-amerikanischem Fracking-Gas zu zwingen, weshalb sich Deutschland nun erst recht um die Gunst der transatlantischen Führungsmacht bemühen muss, wofür der Minister in Washington eine besondere Sorte Schleim absonderte, als er das Publikum an die entsetzliche Blockade Berlins durch die entsetzliche sowjetische Besatzungsmacht, das entsetzliche Leid der ohnehin leidgeprüften Berliner Bevölkerung und die selbstlose Hilfe der USA erinnerte:
„Pessimism was widespread. People feared hunger. Many believed that a new war was unavoidable. And all that in a place that was still in ruins from a war which had ended only three years earlier.”
Dann aber wurde dem Westberliner Teil des deutschen Volks das Unvergessliche zuteil, als am 24. Juni 1948 “the pilots of the Berlin airlift burst through these dark skies with their cargo of hope: food, coal, medical supplies, building material. With their deliveries they gave people hope at a time when despair was everywhere. And with this cargo they sent the message: We are there for you. Your security is our security. We will not let you down. All of this only three years after May 8, only three years after the end of World War II. I find this an incredibly strong symbol of transatlantic friendship.
We Germans will always remember what you did for us during the time of the airlift. And we will always remember your efforts in the decades afterwards, when freedom had to be defended on NATO’s eastern flank – and when that flank was us, West Germany.”
Geht´s noch peinlicher, noch unterwürfiger?
Aber klar, da geht noch was:
„I remember growing up in my home town of Osnabrück in Lower Saxony, West Germany, in close neighbourhood with British soldiers and their families. On my way to school I would regularly see people in uniform, and I looked at them with youthful admiration. They were part of our communities, part of our daily lives. They became friends.
These NATO-North Atlantic Treaty Organization Allies were there to defend Germany from the Soviet threat. They were there to make our security their security.”
2. “Our Zeitenwende is real.”
Nach dieser Anbiederungsorgie wurden die “Ladies and Gentlemen”, sofern sie noch nicht eingeschlafen waren, mit der Erwartung konfrontiert, die transatlantische Führungsmacht möge die Deutschen für ihren enormen Fleiß und ihre harte Arbeit, ihre erste „Nationale Sicherheitsstrategie“ und ihre erstaunlich reale „Zeitenwende“, ihre standhafte Solidarität mit der Ukraine und ihre Kriegsbegeisterung als primus inter pares anerkennen und Frankreich auf die Plätze verweisen. 17 Argumente seien hier im Originalton Pistorius mit Übersetzung angeführt:
1. “Today, Germany is the second largest contributor of military, financial and economic aid to Ukraine.” („Deutschland ist heute der zweitgrößte Finanzier für militärische, finanzielle und wirtschaftliche Hilfe an Ukraine.“)
2. “We are delivering one quarter of our own Patriot Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target systems to our Ukrainian friends. And we will not stop here.” („Wir liefern ein Viertel unserer eigenen Patriot-Systeme an unsere ukrainischen Freunde. Und wir werden damit nicht aufhören.“)
3. “This year alone, we plan to spend more than seven billion euros on military assistance to Ukraine.” („Allein in diesem Jahr planen wir, mehr als sieben Milliarden Euro an militärischer Hilfe für die Ukraine zu investieren.“
4. “Germany is not just providing military support to Ukraine, we have also taken in the largest number of Ukrainian refugees in the European Union.” („Deutschland leistet nicht nur militärische Unterstützung an die Ukraine, wir haben auch die größte Anzahl an ukrainischen Flüchtlinge auf der Europäischen Union aufgenommen.“)
5. “And Germany is also engaged in rebuilding Ukraine’s destroyed cities and villages.” („Und Deutschland engagiert sich auch beim Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer in der Ukraine.“)
6. “That is why we are working hard to make Europe’s contribution to transatlantic burden-sharing more relevant and why we have taken on more responsibility for the security of our continent.” (“Deshalb arbeiten wir hart daran, dem europäischen Beitrag zum transatlantischen Lastenausgleich mehr Bedeutung zu verleihen, und deshalb haben wir mehr Verantwortung für die Sicherheit unseres Kontinents übernommen.“)
7. “Only last year, we published our very first National Security Strategy.” (Vor einem Jahr haben wir unsere erste Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht.“)
8. “We are doing our fair share.” („Wir tragen unseren gerechten Teil.“)
9. “Our Zeitenwende is real.” („Unsere Zeitenwende ist Realität.“)
10. “This year, Germany will spend more on defence than ever before in the history of the Bundeswehr.” („Deutschland wird in diesem Jahr mehr Geld für die Verteidigung als jemals zuvor in der der Geschichte der Bundeswehr ausgeben.“)
11. “I am working hard.” („Ich arbeite hart.“)
12. “We are spending money on vital assets and capabilities, for example to procure tanks, frigates, submarines, ammunition, deep-fire capabilities, F-35 fighter aircraft and CH-47F helicopters, and to strengthen the much-needed air defence.” („Wir geben Geld für lebenswichtige Güter und Fähigkeiten aus, um Panzer, Fregatten, U-Boote, Munition, Tieffliegerfähigkeiten, F-35-Kampfflugzeuge und CH-47F-Hubschrauber zu beschaffen.“)
13. “We are working very hard to prepare the Bundeswehr for today’s challenges.” („Wir arbeiten sehr hart, um die Bundeswehr auf die heutigen Herausforderungen vorzubereiten.“)
14. “Across the eastern flank, we are ramping up the presence of the Bundeswehr.” („An der gesamten Ostflanke verstärken wir die die Präsenz der Bundeswehr.“)
15. “Together with Norway we are building identical submarines.” („Zusammen mit Norwegen bauen wir U-Boote.“)
16. “And we are working hard to boost the defence-industrial complex.” („Und wir arbeiten hart daran, den industriellen Verteidigungs- Komplexe zu fördern.“)
17. “I stand here to reassure you: Germany is a steadfast Ally. Germany is capable and it is ready to play its part within the Alliance and in global politics. Let us – the US and Germany together – shape a future with all those who stand up for freedom, peace and the rules-based international order.”
(„Ich stehe hier, um Ihnen zu versichern: Deutschland ist ein unerschütterlicher Verbündeter. Deutschland ist fähig und bereit, im Bündnis und in der Weltpolitik seine Rolle zu spielen. Lassen Sie uns – die USA und Deutschland gemeinsam – eine Zukunft mit all denen gestalten, die für Freiheit, Frieden und die regelbasierte internationale Ordnung eintreten.“)
3. Was lernen wir daraus?
Wer sich einmal dafür entschieden hat, in der vielgepriesenen „regelbasierten Ordnung“ mitzuspielen, muss die Regeln, nach denen diese Ordnung funktionieren soll, einhalten, kann aber die Spielräume, die ihm in der Konkurrenz der subalternen Staaten oder in der Konkurrenz zum Hauptakteur in Washington zugestanden werden, nur solange nutzen, bis er zurückgepfiffen wird.
So geschehen am 7. Februar 2022 in Washington bei der Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem US-Präsidenten Joseph Biden. Auf die Frage, welche Maßnahmen die US-Regierung gegen Nord Stream 2 unternehmen werde, antwortete Biden: „Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben.“ Auf die Zusatzfrage: „Aber wie genau machen Sie das? Das Projekt ist unter der Kontrolle Deutschlands“, kam die legendäre wie lapidare Antwort: „Ich verspreche Ihnen: Das werden wir schaffen.“
Scholz hielt, wie wir wissen, eisern still, was von Lafontaine bis AfD als Landesverrat skandalisiert wurde. Doch in der Folge wurde Deutschland von der US-Regierung als korrespondierende (Unter-)Führungsmacht auf der europäischen Seite des Atlantiks anerkannt. „Auf der Basis, mit Amerika im Rücken, übernimmt die Regierung mit ihrem neuen zuständigen Minister (Pistorius – BF) tatsächlich die Position des maßgeblichen Anführers, und zwar eine Führerschaft nach eigenem Kalkül. (…) Nicht wenig Ertrag, den ein ewiger „Zauderer“ und notorisch „Getriebener“ aus einem bedeutenden Eskalationsschritt im Ukraine-Krieg herausgewirtschaftet hat.“ (Gegenstandpunkt 1-23)
Wenn sich dann einer wie Pistorius als Musterschüler präsentiert und laut Oskar Lafontaine „ein Paradebeispiel des deutschen Untertanengeistes“ abliefert, gehört das zum Geschäft der „regelbasierten Ordnung“ und zur Festigung der Hierarchie. Springers Bild wartete in den Folgetagen mit der Nachricht auf, die Rede von Pistorius sei „NICHT mit dem Kanzleramt abgestimmt“ gewesen, schloss eine indirekte Kampfansage an den zögerlichen Olaf Scholz nicht aus und fiel vor einem künftigen Bundeskanzler Pistorius mit der Behauptung auf die Knie:
„Da will einer führen.
Mehr als nur die Truppe …“
Alle Zitate aus: Bundesministerium der Verteidigung, 14.05.2024