„In Gänze schutzlos“

Unter dem Titel „Zur Stationierung von Mittelstreckenraketen der USA nach Deutschland: Es droht ein Nuklearkrieg in Europa“ hat Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr, Erich Vad, in der Berliner Zeitung einen Artikel veröffentlicht, in dem er kritisiert, dass die Vereinbarung, „ab 2026 Raketen, Marschflugkörper und Überschallwaffen mit Reichweiten zwischen 460 und 3000 Kilometern in Deutschland aufzustellen“, ohne eine breite, kontroverse, innenpolitische sowie bündnisinterne Diskussion“ getroffen worden sei: „Die Stationierung erfolgt entgegen dem Prinzip der Lasten- und Risikoteilung ausschließlich in Deutschland, das sich damit politisch und bezogen auf seine Sicherheit dramatisch exponiert und singularisiert“, wobei die Stationierung der amerikanischen Waffen in Deutschland „im Kriegsfall nicht einer souveränen, nationalen Entscheidungsmacht“ unterliege.

Bei der Stationierung gehe es, so Vad, „vor allem darum, den USA im Kriegsfall aus Deutschland heraus den Einsatz von Waffensystemen zu ermöglichen, mit denen sie mit minimalen Flugzeiten der Geschosse in die Tiefe Russlands zur Neutralisierung entsprechender russischer Basen wirken können, ohne dass sich die USA selbst gefährden.“

Im schlimmsten Fall werde damit die Sicherheit Deutschlands, vielleicht sogar Europas, von der Sicherheit Nordamerikas getrennt und ein auf Europa beschränkter Nuklearkrieg möglich. „Ein außen- und sicherheitspolitisches No-Go aus deutscher Sicht!“

Als ehemaliger Brigadegeneral der Bundeswehr geht Erich Vad von einer russischen Bedrohung aus, die eine verstärkte militärische Abschreckung erfordere. „Da jedoch Deutschland im Kriegsfall das Aufmarschgebiet und die logistische Plattform des Bündnisses wäre, wird die in Gänze schutzlose deutsche Bevölkerung einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, ohne dass sie dazu selbst gefragt wird. Das Risiko im Kriegsfall betrifft zudem exklusiv unser Land und wird nicht von anderen Bündnispartnern geteilt.“ Das heißt, sogar ein Brigadegeneral, dessen Haltung sich fundamental von der der Friedensbewegung unterscheidet, warnt vor einer steigenden Kriegsgefahr für Deutschland.

Beim sogenannten Nato-Nachrüstungsbeschluss 1979 sei das noch ganz anders gewesen: „Damals waren weitere Bündnispartner bereit, Raketensysteme der USA auf ihrem Territorium zu stationieren. Die Tragweite der Entscheidung wurde mit anderen Bündnispartnern geteilt und darüber hinaus mit Abrüstungsmaßnahmen verbunden.“

Gerade Deutschland habe 1979 sehr viel Wert darauf gelegt, „sich nicht, so wie bei dem kürzlich getroffenen Beschluss, sicherheitspolitisch singularisieren zu lassen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt knüpfte sein politisches Überleben an diese bündnispolitisch wichtige und hinsichtlich der nationalen Interessenlage existenzielle Frage.“

Wie Vad bei alledem auf den Gedanken kommt, die Stationierung habe „auch eine sicherheitsfördernde“ Seite, bleibt sein Geheimnis. Hier denkt ein Soldat in soldatischen Grenzen, der es allerdings – und hier gebührt ihm Respekt – nicht dabei belässt, Kritik nur in militärischen Fachzeitschriften zu äußern. So schreibt er in der Berliner Zeitung, was Friedensbewegten wie eine Binsenweisheit erscheinen mag: „Die Stationierungserklärung ermöglicht gerade mit Blick auf die Hyperschallwaffen eine Überraschungsoption gegenüber Russland, die im Kriegsfall zu unkontrollierbaren Fehlperzeptionen und Gegenaktionen führen könnte, die ausschließlich unser Land betreffen würden. (…) Außerdem gibt es keine politische Verbindung der beabsichtigten Stationierung mit Abrüstungsangeboten und -maßnahmen. Auch die Möglichkeit, mit Russland über die Stationierung sicherheitsfördernd für Deutschland in Austausch zu treten, ist nicht vorgesehen.“

Vad unterlässt es, Fragen zu stellen, die sich aus dem politischen Kontext ergeben:

  • Was bedeutet die Stationierungsvereinbarung vor dem Hintergrund der gegen China gerichteten Aufrüstung von USA/Nato?
  • Was bedeutet die Stationierungsvereinbarung vor dem Hintergrund des Kriegsverlaufs in der Ukraine?
  • Was würde es für Russland bedeuten, stünde ein Nato-Mitglied Ukraine als Stationierungsland zur Verfügung?
  • Welchen Gewinn erhofft sich die Bundesregierung vom Stationierungsbeschluss? Will sie sich auf Kosten unserer Sicherheit als primus inter pares der Nato etablieren? Will sie von Aufrüstung profitieren, während gleichzeitig ganze zivile Industriebereiche in die Knie gehen? Oder ist sie einfach nur gefährlich dumm? So dumm wie der Stern, der am 01. März 2023 titelte: „Ein Glück, dass es Joe Biden gibt. Im Konflikt mit Russland und China können wir uns wieder auf die USA verlassen.

Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und militärpolitischer Berater der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Unternehmensberater, Publizist und Universitätsdozent, äußerte sich mehrfach kritisch zur aktuellen deutschen Außenpolitik. Er kritisierte die Bundesregierung für ihre Ukraine-Politik und sprach von Kriegshysterie. Nach den Nato-Gipfel im Sommer diesen Jahres forderte er mehr Diplomatie.