Rede auf der Kundgebung am 16.11.2024 – Claus Walischewski
Liebe Bremerinnen und Bremer,
Ich spreche hier, um Amnesty Internationals Position zum Gazakrieg und Nahostkonflikt darzustellen.
Um es vorweg zu sagen: Amnesty ist weder für noch gegen Israel, weder für noch gegen die Palästinenser, sondern allein für die Menschenrechte aller, Israelis wie Palästinenser, ebenso für das Völkerrecht.
Die Menschenrechte und das Völkerrecht müssen das Maß sein, mit dem gemessen wird.
Der Auslöser für den jetzigen Krieg war das brutale Massaker der Hamas am 7. Oktober vorigen Jahres und dieses Massaker an fast 1200 Menschen, die meisten davon Zivilisten, darunter 33 Kinder, sowie die Geiselnahme von ca. 240 Personen ist von Amnesty auf das Schärfste verurteilt worden. Ebenso hat Amnesty immer wieder den wahllosen Raketenbeschuss von palästinensischen Gruppen aus Gaza nach Israel kritisiert, so auch den am 7. Oktober. Amnesty hat immer wieder gefordert, dass die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Was nach dem 7. Oktober folgte, war ein unglaublicher Militäreinsatz gegen die Hamas und gegen alle Menschen in Gaza, der bisher über 43.000 Tote und über 100.000 Verletzte forderte. Ca. 70 % sind davon Frauen und Kinder, also sicher keine Hamas-Kämpfer, und dies wird hierzulande und auch von unserer Bundesregierung und vielen Politikern ignoriert, denn angeblich hält sich die israelische Armee an das Völkerrecht und tötet nur im Notfall Zivilisten. 70 % von 43.000 sind 30.000. Das Töten von 30.000 Frauen und Kindern kann niemals völkerrechtlich gerechtfertigt werden oder als notwendige Selbstverteidigung gelten. Dieses Töten von unschuldigen Zivilisten muss sofort beendet werden.
Jeden Tag werden unschuldige Menschen von Israel getötet, mittlerweile auch im Libanon, wo die Zahl auf über 3000 gestiegen ist. Aber wir nehmen davon kaum noch Notiz, wir stumpfen ab, es sind zu viele. Wir müssen aber hingucken, um nicht mitschuldig zu werden. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und ein Exportverbot für Rüstungsgüter nach Israel und in andere Staaten in Nahost.
Es sind aber nicht nur die Zahlen der Getöteten, auch das erschreckende Maß an Zerstörungen und Vertreibungen macht uns sprachlos.
Laut Zahlen der UNO
- wurden 1,9 Millionen Gazaner, das sind 90 % der Bevölkerung, gezwungen ihre Wohnungen zu verlassen. Für Amnesty ist das eine Zwangsumsiedlung.
- Fast 70 % der Häuser und Wohnungen, 68 % der Straßen sind zerstört oder stark beschädig.
- 19 von 35 Krankenhäusern wurden zerstört, der Rest kann nur noch sehr eingeschränkt arbeiten. Über 1000 im medizinisches Bereich arbeitende Menschen wurden getötet, 130 Krankenwagen zerstört.
- 50.000 Kinder leiden an akuter Unterernährung, 17.000 Kinder sind zu Waisen geworden oder von ihren Eltern getrennt. Tausenden mussten Gliedmaßen amputiert werden, z.T. ohne Narkose.
- 87% der Schulen sind zerstört oder stark beschädigt, 11.000 Schüler und 440 Lehrer und unterrichtendes Personal getötet.
- 174 Journalisten und Medienschaffende kamen bei israelischen Angriffen zu Tode – laut Reporter ohne Grenzen die höchste Zahl in einem derartigen Krieg.
Ich erspare Ihnen, noch mehr Details aufzulisten.
Amnesty hat die Behauptungen der israelischen Armee, sie sei immer nach Maßstäben des Völkerrechts vorgegangen und habe Zivilisten geschützt, an vielen Beispielen untersucht und immer wieder Belege für Kriegsverbrechen gefunden.
Noch im Oktober 23 erklärt Amnesty, dass der aktuelle Krieg im historischen Rahmen gesehen werden muss und verlangt die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens. Diese Blockade besteht seit 2007 und schränkt das Leben dort so ein, dass die UN Gaza schon ab 2020 für unbewohnbar hielten.
Am 26.10. 23 fordert Amnesty einen Waffenstillstand, ein umfassendes Waffenembargo, die Freilassung der Geiseln, humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza, Freilassung aller von Israel willkürlich verhafteten Palästinenser und ein Ende der israelischen Besatzung. Das ist bis heute so geblieben.
Amnesty unterstützt alle Bemühungen der UN, das Völkerrecht zu stärken, bekräftigt daher auch die Völkermord-Klage Südafrikas vor dem IGH und unterstützt ebenso die Ausstellung von Haftbefehlen gegen Hamasführer sowie Präsident Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant durch den IStGH.
Amnesty – Generalsekretärin Agnes Calamard sagte am 16. Januar ’24: „Die Entscheidung des IGH allein kann jedoch den Gräueltaten und der Verwüstung, die die Menschen im Gazastreifen erleben, kein Ende setzen. Die alarmierenden Anzeichen für einen Völkermord in Gaza und Israels eklatante Missachtung des Völkerrechts machen deutlich, dass es dringend notwendig ist, wirksamen und einheitlichen Druck auf Israel auszuüben, damit es sein militärisches Vorgehen gegen die Palästinenser* innen einstellt.“
„Die schockierend hohe Zahl der Todesopfer unter den Palästinenser*innen, die weitreichenden Zerstörungen durch Israels fortgesetzte Bombardierungen und die vorsätzliche Verweigerung humanitärer Hilfe im Rahmen der anhaltenden rechtswidrigen Blockade fügen der Zivilbevölkerung des Gazastreifens entsetzliches Leid zu. Weitere Warnzeichen sind die zunehmende rassistische und entmenschlichende Rhetorik einiger israelischer Regierungsvertreter*innen, einschließlich des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, sowie die langanhaltende Unterdrückung und Diskriminierung der Palästinenser*innen im Rahmen des von Israel etablierten Systems der Apartheid.“
Wir erinnern uns, dass der Verteidigungsminister Yoav Galant gesagt hatte: „Wir kämpfen gegen menschliche Tier und handeln dementsprechend“ und der israelische Staatpräsident machte alle Gazaner für das Massaker der Hamas verantwortlich und damit vogelfrei.
Amnesty monierte dann im Februar 2023, dass Israel die Entscheidung des IGH im Genozid-Verfahren missachtet und humanitäre Hilfe für Gaza verweigert. Diese Einschränkung humanitärer Hilfe durch Israel dauert bis heute an und führt gerade in Nord-Gaza zu einer Hungerkatastrophe.
Amnesty stellt fest, dass der jetzige Krieg historisch eingeordnet werden muss in eine lange Phase der Unterdrückung und Kontrolle der Palästinenser durch Israel seit 1948.
Im Rahmen der Staatsgründung Israels wurden 750.000 Palästinenser vertrieben und 500 Dörfer zerstört, in die bis heute niemand zurückkehren darf, auch die nicht, die in Israel geblieben sind und israelische Staatsbürger wurden. Als dann 1967 Israel den Rest des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina eroberte und begann, dort illegale Siedlungen zu bauen, wurde ein Apartheidsystem offensichtlich: getrennte Straßen und getrennte Rechtssysteme für Juden und Araber, massive Bewegungsbeschränkungen durch Checkpoints mit einem komplizierten System von Erlaubnisscheinen. Dazu kommen Hauszerstörungen, Vertreibungen, Beschlagnahme von Land und Eigentum, der Raub von Wasser inklusive Zerstörung von Zisternen und Brunnen, rechtswidrige Tötungen und weitgehende Straflosigkeit für gewalttätige Siedler oder Soldaten, Administrativhaft, d.h. Haft ohne Gerichtsverfahren für Tausende.
Dies alles sind Fakten, die dem Konflikt zugrunde liegen. Nur durch ein Ende der Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser kann daher eine Friedenslösung möglich sein.
1 Jahr nach dem 7. Oktober sind noch immer ca. 100 Geiseln in den Händen der Hamas und Amnesty fordert weiterhin deren Freilassung. amas Hamas und Amnesty Doch zuallererst muss das Töten aufhören, das jeden Tag – auch heute – weitergeht und das Leiden erhöht.
Ein letzter Punkt: Amnesty setzt sich auch für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit hier in Deutschland ein. Auch die Palästinenser haben ein Recht gehört zu werden und
eine pauschale Kriminalisierung von Protesten und die Unterdrückung Palästina-solidarischer Stimmen im öffentlichen Diskurs sind mit den Menschenrechten unvereinbar.
Amnesty stellt sich gegen jede Form von Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Staatliche Behörden stehen in der klaren Verantwortung, das Recht auf Protest und das Recht auf Nichtdiskriminierung für alle Menschen gleichermaßen zu schützen.
Die Bundesregierung schweigt zu israelischen Kriegsverbrechen, obwohl sie verpflichtet ist, das Völkerrecht zu verteidigen und Druck auf Israel zu machen, doch das tut sie natürlich nicht. Darüber wird Gerhard Baisch gleich mehr sagen.
Wir verurteilen alle Kriegsverbrechen in diesem Krieg, sowohl die der Hamas als auch die der israelischen Regierung. Wir trauern um alle Opfer der Gewalt in Palästina und Israel. Wir bangen um die Tausenden, die in Israel willkürlich in Haft und oft Folter und Misshandlung ausgesetzt sind.
Wir solidarisieren uns mit allen, die sich für Frieden und gleiche Rechte für alle Menschen in der Region einsetzen.
Sie können unsere Forderungen an die Bundesregierung durch Unterschreiben einer Petition unterstützen:
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