Wir dokumentieren die Rede von Barbara Heller auf der Demonstration am 26.4.2025 in Bremen
Wie im Schatten der Palästina-Solidarität Grundrechte in Deutschland abgebaut werden
Liebe Freundinnen und Freunde Palästinas, ich werde nicht über die Situation in Gaza und im Westjordanland spreche, ich spreche über Deutschland, über das Land, in dem wir leben.
Die meisten Menschen, die sich hier versammelt haben, sind deutsche Staatsbürger. Diejenigen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und keinen gesicherten Aufenthaltsstatus in der BRD trauen sich kaum noch, an palästina-solidarischen Aktionen teilzunehmen.
In der Bundesrepublik haben wir ein Grundgesetz, das seit 1949 gilt, in dem festgelegt ist:
Artikel 5. Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Schauen wir uns das genauer an:
zu 1.) Haben wir das Recht, unsere Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten? Durften und dürfen wir benennen, was wir in Gaza sehen: einen Völkermord! Welche allgemein zugänglichen Quellen dürfen wir nutzen, bzw. was ist hier verboten? Welche Zeitungen und Sender zeigen die Verbrechen, die Israel in Gaza begeht? Wie weit ist es her mit der Berichterstattung durch Presse, Rundfunk und Film über den Nahen Osten? Ich sage: Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind nicht gewährleistet! Wird in den Medien über die palästinensischen Opfer entsprechend ihrer übergroßen Zahl und der barbarischen Verfolgung auch nur halbwegs adäquat berichtet? Nein! Findet Zensur statt? Was ist eine sog. Handreichung der Medien an die Journalisten, welche Wortwahl zu gebrauchen ist und welche Worte auf alle Fälle zu vermeiden sind? Inzwischen gibt es Untersuchungen, die belegen, dass sich immer mehr Journalisten, darunter auch „alte Hasen“, über die Einflussnahme von außen beschweren. Ich nenne das Zensur. Dazu kommt die freiwillige Selbstzensur, die alles vermeidet, was einer Karriere im Staatsräsonland schaden könnte.
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(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. (Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.)
Zu 3.) Ich behaupte, dass die Väter und übrigens nur vier Mütter des Grundgesetzes sich wundern würden, wenn sie sehen könnten, wie sehr die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre heute auf den Hund gekommen ist. Heute gibt es deswegen weltweit Kritik an Deutschland. Immer mehr Künstler und Wissenschaftler aus aller Welt fragen sich, ob sie in der BRD ihre Arbeit frei von äußerer Beeinflussung und Bevormundung durchführen können. Als Stichworte nenne ich die letzte und die künftige Documenta in Kassel, die Verfolgung palästina-solidarischer Aktivisten an den Hochschulen und die angedrohte Mittelsperrung an einer Uni wegen Kritik an Israels Politik.
Wie sehr die im GG garantierten Freiheiten eingeschränkt werden, will ich an einigen aktuellen Beispielen aufzeigen.
1. Melanie Schweizer, Juristin, bis Anfang 2025 Beamtin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Weil sie sich im privaten Umfeld kritisch zur deutschen Unterstützung des israelischen Krieges gegen Gaza geäußert hatte, wird sie entlassen. Es gab keine Kritik an ihrer Arbeit, im Gegenteil, die Begründung für die Entlassung war einzig und allein ihre klare, solidarische Haltung zu Palästina, die sie in persönlichen Gesprächen geäußert hatte. Melanie Schweitzer geht juristisch gegen ihre Kündigung vor.
2. Der IT-Fachmann Ahmad Othman wurde von seinem Arbeitgeber, dem Land NRW, entlassen wegen seiner Mitgliedschaft in der „Palästina Solidarität Duisburg“. Er klagte gegen die Entlassung mit der Begründung, dass seine Kündigung gegen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit verstoße. Die Kündigung wurde vom Gericht aus formalen Gründen für unwirksam erklärt. Dagegen hat das Land NRW Widerspruch eingelegt.
3. Der Fall Francesca Albanese. An der FU Berlin sollte am 19. Februar 2025 eine Diskussionsveranstaltung mit der UN-Sonderberichterstatterin Albanese stattfinden. Eine Gruppe von Professoren hatte sie eingeladen, um über den Genozid in Gaza zu referieren. Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) forderte die Uni auf, die Veranstaltung abzusagen, was dann auch von Seiten des Direktors der FU geschah. Wegner ist gleichzeitig Wissenschaftschef in Berlin. Ein Ersatzort für die Veranstaltung wurde ebenfalls auf Druck von oben gecancelt.
Aber wer ist Francesca Albanese? Sie ist Rechtswissenschaftlerin mit der Spezialisierung auf Internationales Recht und Menschenrechte. Seit 2022 ist sie UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas. Sie ist also Vertreterin der höchsten menschenrechtlichen Instanz weltweit. Und diese Frau wird in völliger Ermangelung des Respekts und der Achtung vor der UNO von einem Berliner Oberbürgermeister, Wissenschaftssenator und einem Universitätspräsidenten vor die Tür gesetzt.
Tsafrir Cohen, Geschäftsführer von medico international, sagt: „Werden Auftritte einer UN-Sonderberichterstatterin aufgrund von politischem Druck abgesagt, offenbart das …einen mangelnden Respekt gegenüber dem Völkerrecht. Dies geschieht in einer Zeit, in der Institutionen wie der Internationale Strafgerichtshof von mächtigen Staaten angegriffen werden, wie zuletzt durch die Sanktionen der USA. Es ist ein fatales Signal, wenn Politiker*innen in Deutschland nun ebenfalls zur Delegitimierung internationaler Institutionen beitragen, statt diese dabei zu unterstützen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie in Gaza stattfinden, zu ahnden.“
Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Als die linke Tageszeitung jungeWelt ihre Ladengalerie als Ersatztagungsort anbietet, umzingeln nicht weniger als 22 Polizeiwagen das Gebäude der jungen Welt. Im Veranstaltungsraum postieren sich 8 schwerbewaffnete Polizisten und bleiben während der ganzen Veranstaltung im Raum. Wozu dieser martialische Auftritt? Er hat nur einen Zweck: die Einschüchterung aller Menschen, die sich für Frieden und Freiheit in Palästina einsetzen.
Die Angriffe auf die palästina-solidarische Bewegung erfüllt darüber hinaus noch einen zweiten Zweck: grundgesetzlich garantierte Rechte werden eingeschränkt um zu sehen, wie weit dieser Demokratieabbau von der Bevölkerung hingenommen wird. Immer haben autoritäre Staaten zuerst die Menschen und Ansichten verfolgt, die in der Bevölkerung keine breite Unterstützung hatten. Wer heute schweigt zu Palästina, wird der sich morgen noch trauen, den Mund aufzumachen gegen Aufrüstung und Sozialabbau? Was heute den Palästina-Aktivisten passiert, droht morgen Aktivisten in anderen Auseinandersetzungen. Lasst uns unsere Freiheitsrechte verteidigen, indem wir Palästina verteidigen.