Antisemitismus-Resolution: „Das ist einer Demokratie unwürdig“

„Eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland soll vom Bundestag verabschiedet werden – und ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.“

Ein Text von Michael Barenboim, veröffentlicht auf SZ online (hinter einer Bezahlschranke, deshalb dokumentieren wir ihn hier zitiert)

Michael Barenboim schreibt: „Im Laufe des Sommers soll eine in den letzten Wochen und Monaten konzipierte Resolution der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP mit dem vorläufigen Titel ‚Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken‘ verabschiedet werden.“ Mit dieser Resolution habe sich der Bundestag die Aufgabe gestellt, „die Vielfalt jüdischen Lebens anzuerkennen, sichtbar zu machen, zu bewahren und zu schützen“. Dies sei „Ausdruck der deutschen Staatsräson“.

Barenboim kritisiert: „Inwiefern es aber jüdisches Leben schützen soll, wenn unter Berufung auf jene Staatsräson Begriffe im Zusammenhang mit Israel als antisemitisch bezeichnet werden, die völlig legitim eine unerträgliche Situation beschreiben, ist schwer nachvollziehbar.“ Er verweist auf ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 19. Juli 2024, das „die Besetzung von Ost-Jerusalem, der Westbank und Gaza als rechtswidrig“ bezeichnet und fordert, dass „sie so schnell wie möglich beendet werden, die Siedlungen zu räumen und Reparationen an die Palästinenser zu leisten“. Der Bericht stelle außerdem fest, dass „Israel auch gegen Artikel 3 des CERD (Committee on the Elimination of Racial Discrimination) verstoße, der Rassentrennung und Apartheid verbietet. Drittstaaten müssen jede Unterstützung unterlassen, die die Besatzung fördert.“

Barenboim erinnert daran, dass „der Internationale Gerichtshof im Fall Südafrika gegen Israel vor der Gefahr eines Genozids in Gaza gewarnt und mehrfach verbindliche Maßnahmen angeordnet hat, die Israel ignoriert.“ Er ordnet ein: „Die geplante Resolution würde de facto sogar den Verweis auf das Gutachten des IGH (sowie das Gutachten selbst!) unter Antisemitismusverdacht stellen und damit diesen letzten Absatz als antisemitisch bewerten.“

Ein zentraler Punkt seiner Kritik ist die IHRA-Definition von Antisemitismus, die „es prinzipiell ermöglicht, jede kritische Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik Israels als antisemitisch einzustufen.“ Für Barenboim ergibt sich aus der Verantwortung Deutschlands für den Holocaust ein „unbedingtes Bekenntnis zu den Menschenrechten und zum Völkerrecht, um, wie es im Grundgesetz heißt, ‚dem Frieden der Welt zu dienen‘.“ Daraus dürfe jedoch „keinesfalls die Unterdrückung von Stimmen abgeleitet werden, die berechtigte Kritik an einem Staat üben, der seit mehr als einem halben Jahrhundert ein gewaltsames und völkerrechtswidriges Besatzungsregime unterhält und mutmaßlich für einen Völkermord in Gaza verantwortlich ist.“ Er betont: „Repressive Maßnahmen gegen völkerrechtskonforme Äußerungen schützen keineswegs jüdisches Leben. Sie untergraben vielmehr jede Hoffnung auf eine friedliche gemeinsame Zukunft in der Region, die auf der Einhaltung des Völkerrechts beruht.“

Weiterhin bemerkt Barenboim: „Insgesamt lässt der Verweis auf Israel, dessen Politik bekanntermaßen auch von vielen Jüdinnen und Juden kritisiert wird, vermuten, dass es hier eigentlich nicht um die Bekämpfung von Antisemitismus geht, sondern um die Unterdrückung pro-palästinensischer Stimmen.“ Seiner Ansicht nach würden „nicht alle Jüdinnen und Juden hier geschützt, sondern nur diejenigen, die die Politik der Regierung Israels unterstützen. Das ist einer Demokratie unwürdig.“

Barenboim schreibt: „Damit wird erneut Jüdinnen und Juden in Deutschland die Pluralität ihrer Positionen und Erfahrungen abgesprochen. Sie werden damit letztlich nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen: sie, die jüdischen ‚Anderen‘, sollen ja von ‚uns‘ geschützt werden. Vor wem? Vor den noch andersartigeren Anderen: den Palästinensern, den Muslimen, den Arabern.“ Diese Haltung sei „nicht nur gegenüber Deutschen mit ‚muslimisch geprägtem‘ Migrationshintergrund vollkommen inakzeptabel, sondern auch gegenüber jüdischen deutschen Staatsbürgern, wie mir selbst.“ Er betont: „Ich lebe seit meinem 7. Lebensjahr in Deutschland und wehre mich entschieden gegen ein solches Othering.“

In einem Interview habe er, Barenboim, gesagt, „dass die Menschenrechte für alle gelten, außer anscheinend für Palästinenser.“ Zudem habe er hinzugefügt, „dass auch die freie Meinungsäußerung eigentlich für alle gelte, außer wenn sie sich für Palästina äußern wollen.“ Seitdem würde er „jeden Tag aufwachen und hoffen, dass ich unrecht habe.“ Allerdings berichtet er von täglichen Beschimpfungen: „Dafür, dass ich den IGH zitiere und von Menschenrechten spreche, bekomme ich fast täglich wüste Beschimpfungen (darunter solche Perlen wie: ’selbsthassender Jude‘, ‚Verräter‘, man solle mich ’nach Gaza schicken‘).“ Andere hingegen „beglückwünschen mich zu meinem Mut.“ Er findet es bezeichnend für „den völlig aus dem Ruder gelaufenen Diskurs in diesem Land, dass von Mut die Rede ist, wenn die Einhaltung des Völkerrechts gefordert wird. Letzteres sollte selbstverständlich sein.“

Barenboim stellt fest: „Schon seit Monaten, während die Resolution noch nicht verabschiedet ist, verlieren viele Menschen hierzulande, darunter viele Jüdinnen und Juden, ihre Arbeit, ihre Aufträge, ihre Auftritte, sogar ihre Einreisegenehmigungen. Kongresse werden gewaltsam aufgelöst, Studierendenproteste unterdrückt, Demonstrationen verboten.“ Seiner Meinung nach würde „diese Resolution diese autoritären Tendenzen verstärken, und [sie] schützt niemanden.“

Michael Barenboim, geboren 1985, ist Geiger und Konzertmeister des von seinem Vater gegründeten West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge arabische und jüdische Musiker zusammenspielen. Zudem ist er Dekan der Barenboim-Said-Akademie in Berlin.

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