Große Tröstung im NATO-Hauptqartier

Ansichten und Einsichten von Bernd Fischer

Nachdem von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt nicht mehr daran gezweifelt werden darf, dass „uns“ die Russen spätestens 2029 angreifen, tritt NATO-Generalsekretär Rutte mit einer Behauptung an die Öffentlichkeit, die in friedensbewegten Kreisen längst Allgemeingut geworden ist: „Unser Militär ist dem russischen haushoch überlegen.“ Wir fragen uns: Warum sagt er das? Und warum sagt er das gerade jetzt? Will er Boris Pistorius in den kriegstüchtigen Hintern treten und Roderich Kiesewetter, was ein Leichtes wäre, der Lüge überführen? Schön wär´s.

Mark Rutte ist kein Deutscher, könnte aber einer sein. Wie Bundeskanzler Friedrich Merz hat auch er einen Hang zum Maulheldentum, der jederzeit, zum Beispiel dann, wenn der US-amerikanische Präsident die Bühne betritt, in Kriecherei umschlagen kann. So geschehen auf dem Nato-Gipfel im Juni des Jahres, als er das Oberhaupt der europäischen Unterhäupter als „Daddy“ ansprach, um ihn milde zu stimmen, was aber nicht gelang.

Am 15. Oktober 2025 war „Daddy“ nicht dabei, als sich in Brüssel die Verteidigungsminister der EU- und NATO-Mitgliedstaaten trafen, weshalb sich der Sekretär der NATO-Generäle konkurrenzlos in Szene setzen konnte, um zu erklären, man solle Russland nicht zu ernst nehmen. Die NATO-Wirtschaftsleistung sei um ein Vielfaches größer als die der Russischen Föderation, zumal das russische Militär in einem miserablen Zustand sei:

„Die gesamte Wirtschaft der Nato beträgt 50 Billionen gegenüber zwei Billionen für Russland. Sie (die russische – BF) ist nicht größer als die des Bundesstaates Texas, nicht größer als die Wirtschaftskraft der Niederlande und Belgiens.“

Stimmt annähernd, doch es fehlte noch eine Kleinigkeit: „Natürlich mit nuklearen Fähigkeiten.“

Natürlich. Beziehungsweise un-natürlich, wenn man bedenkt, dass Belgien und die Niederlande im Gegensatz zu Russland einmal zum Kreis der widerlichsten Kolonialmächte gehörten, die der Erdball je gesehen hat. Und die bis heute meinen, die Welt gehöre „natürlich“ ihnen immer noch allein.

Doch zum Glück ist dem Generalsekretär die dumme Sache mit den „nuklearen Fähigkeiten“ noch rechtzeitig eingefallen, weshalb er Russland „nicht ganz mit Belgien und den Niederlanden vergleichen“ will.

Aber: „Wir sollten die Fähigkeiten Russlands auch nicht überbewerten.“ Zum Beispiel, indem „wir“ den russischen Angriff auf 2026 vorverlegen, ohne die Russen gefragt zu haben. Die laut Rutte vor ihrem Angriff auf die Nato erst noch lernen müssen, Flugzeuge zu steuert. Sind doch „ihre Kampfjetpiloten bekanntermaßen nicht besonders erfolgreich darin sind, diese Kampfjets zu steuern.“

Bei dieser Anspielung auf das angebliche Eindringen russischer MiG-31-Kampfjets in den großzügig erweiterten NATO-Luftraum über Estland musste der Genaralsekretär lächeln, damit der Russe den arroganten Scherz versteht und sich in Grund und Boden schämt. Genauer: In Grund und Meeresboden. Auf den er laut Rutte intellektuell gesunken ist, weil seine Kapitäne „nicht wissen, wie man einen Anker wirft, wenn man bedenkt, was sie alles auf dem Meeresgrund anrichten.“

Über das, was die US-geführte Nato „seit über 50, 60, 70 Jahren“ anrichtet, sagt Rutte voller Stolz: „Wir wissen, wie man das macht. Und wir sollten die Russen nicht zu ernst nehmen.“ Schon gar nicht die russische Nukleardoktrin, die nicht zu existieren scheint, wenn er mit der Überlegenheit der Nato prahlt: „Ich kann Ihnen versichern, dass unser Militär genau weiß, was zu tun ist, wenn es Zeit ist zu handeln, sei es in Bezug auf die MiG-31 – ob diese nun eine Bedrohung darstellen oder nicht – oder in Bezug auf Panzer oder was auch immer.“

Was er mit „was auch immer“ meint, vielleicht doch die Nukleardoktrin oder nur die Anker, mit denen der russische Kapitän den Meeresboden pflügt wie der Muschik den Acker seines Herren, verrät er lieber nicht. Es könnte ja den versammelten Verteidigungsministern ein atomarer Blitz aufgehen. Stattdessen fängt er an, über Dinge zu schwafeln, die jedes Kind versteht, dem ein Apfel auf die Birne fällt:

„Wir dürfen nicht vergessen, dass der Luftraum nicht dasselbe ist wie der Boden. Es gibt einen großen Unterschied. Bitte berücksichtigen sie das.“ Insbesondere bitte dann, wenn plötzlich aus dem „Luftraum“ etwas geflogen kommt und im Hauptquartier der Nato in der Avenue Leopold III in 1110 Brüssel landet, ohne sich vorher unter 0032 27074111 anzumelden und die Öffnungszeiten (Montags ab 08.30 Uhr) zu respektieren.

Weshalb der Generalsekretär das Treffen der Verteidigungsminister auch dazu nutzt, um der Gemeinschaft der Nato-Gläubigen – vielleicht zum letzten Mal – seinen Trost zu spenden: „Das einzige, womit ich uns alle trösten möchte, ist die Tatsache, dass wir als Nato 25-mal größer sind als die russische Wirtschaft“, die allerdings auch nach dem zwanzigsten Paket, gefüllt mit den leckersten EU-Sanktionen, die Tante Ursula je gebacken hat, nicht zusammenbrechen will.

Bleibt noch die eingangs gestellte Frage: Warum erzählt er das? Und warum gerade jetzt? Antworten gibt es vermutlich viele. Hier sind drei:

1. Um die nuklearen Fähigkeiten Russlands zu unterlaufen, müssen im Kriegsfall 1000 Männer und Frauen pro Tag geopfert, also begraben oder medizinisch versorgt werden. Solange aber die Opferbereitschaft postheroisch sozialisierter Männer und Frauen noch nicht voll entwickelt ist, läuft die Eskalationsrhetorik der letzten Monate ins Leere und muss für eine Weile zurückgefahren werden, damit sie ihre Wirkung nicht verbraucht. Genau das hat Rutte getan.

2. Gleiches gilt für die EU-Kommission, die am 17. Oktober einen neuen Fahrplan zur weiteren Beschleunigung ihrer Hochrüstung präsentieren konnte. Kern ist die Forderung, die EU müsse spätestens im Jahr 2030 kriegsbereit sein. Die ersten Kredite zur Finanzierung könnten schon im ersten Quartal 2026 abgerufen werden, doch Gelder in größerem Umfang soll es erst im nächsten EU-Haushalt von 2028 bis 2034 geben. Bis dahin muss die Angst vor „Putin“ auf kleiner Flamme köcheln, bis der Moment gekommen ist, sie wieder anzuheizen.

3. Derweil träumt die „Sicherheitsexpertin“ Claudia Major am 18. Oktober 2025 im Weser Kurier von einem „Gesellschaftsdienst, bei dem die Bundeswehr nur ein Pfeiler ist. Der müsste zudem alters- und geschlechterübergreifend sein, das können wir nicht allein der Jugend aufbürden. Das bräuchte aber eine Verfassungsänderung, die momentan kaum durchsetzbar ist.“

„Momentan“ heißt: In ein paar Jahren schon.

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