Wir dokumentieren die Rede von Wolfgang Vormann, gehalten auf der palästinasolidarischen Demo in Bremen am 12.7.2025:
Liebe Friedensinteressierte!
12.07.25 Liebe Organisationsteams der regelmäßigen Demonstrationen hier in Bremen!
Ich bedanke mich zunächst dafür, dass ich hier heute sprechen kann. Wie oft müssen wir uns wohl noch hier treffen, bis sich etwas ändert??
Die ganze westliche Rechtsordnung kracht derzeit zusammen und fällt uns vor die Füße; in der Bundesrepublik, in der Europäischen Union und selbst in der UN-Charta. Man redet von Rettung der Demokratie, schafft aber mit neuen Gesetzen wie „Delegitimierung des Staates“ und mit der Neufassung des § 130 StGB gegen „Hass und Hetze“ genau das Gegenteil.
Diejenigen, die diese Paragraphen heute formulieren, werden sie nur so lange gut finden, bis man sie gegen sie selbst anwendet. Je unbestimmter die Rechtsbegriffe werden, desto autoritärer das System: Der Willkür sind dann keine Grenzen mehr gesetzt.
Die faktische Wirkung ist schon jetzt, dass eine Mehrheit der Bundesbürger Angst hat, sich in der Öffentlichkeit, im politischen Umfeld oder gar in der Familie politisch zu äußern. Das war zu Corona so oder zur Migration, zu Gender, Klima, Ukrainekrieg und so weiter. Und zu Gaza schon gar nicht! Das Fettnäpfchen des Antisemitismus ist inzwischen eine Öllache. Kritische Äußerungen über Politiker können inzwischen strafrechtlich geahndet werden, was eigentlich ein systemisches Kriterium für autoritäre Regime ist. (Soweit ein Zitat aus dem kürzlich erschienenem Buch „Zeitenwenden“ von Ulrike Guerot)
Aber gerade, weil wir in einem Land leben, das praktisch seine Demokratie beerdigt, ist es wichtig, wachsam zu bleiben und das, was passiert, öffentlich zu benennen. Dazu gehören zum Beispiel die sarkastisch als „HUNGERSPIELE“ bezeichneten Geschehnisse in Gaza. – Ich beziehe mich im Folgenden auf einen aktuellen Artikel aus dem +972-MAGAZIN:
„In den frühen Morgenstunden des 11. Juni, vor Sonnenaufgang, warteten der 19-jährige Hatem und sein Bruder Hamza, 23, in der Nähe des Netzarim-Korridors im zentralen Gazastreifen auf Hilfsfahrzeuge. Sie hofften, mit einem Beutel Weißmehl für ihre fünfköpfige Familie zurückkehren zu können. Stattdessen kehrte Hamza mit dem Körper seines jüngeren Bruders zurück, der in ein weißes Grabtuch gehüllt war.
Insgesamt wurden an diesem Morgen 25 Palästinenser getötet, als sie auf Hilfsfahrzeuge in der Al-Rashid Straße warteten.
Während sich die Aufmerksamkeit der Welt auf den Krieg zwischen Israel und dem Iran richtet, haben sich die Angriffe Israels auf Hungernde im Gazastreifen nur intensiviert.
Nach zwei Monaten ohne Lebensmittel, Medikamente oder Treibstoff ist seit Ende Mai ein Minimum an weißem Mehl und Konserven zugelassen. Der größte Teil davon ging an Orte in Rafah und den Netzarim-Korridor, der von der Gaza Humanitarian Foundation verwaltet wird, die von privaten amerikanischen Sicherheitsunternehmen und israelischen Soldaten bewacht werden. Am 10. Juni kamen auch kleine Sendungen über Hilfsfahrzeuge des Welternährungsprogramms (WFP) an.
Aber angesichts des zunehmenden Hungers warten die Menschen nicht mehr darauf, dass sich die Lastwagen sicher an israelischen Truppen vorbeibewegen. Man eilt in dem Moment, in dem sie erscheinen, auf sie zu und versucht verzweifelt etwas zu ergreifen, bevor die Vorräte verschwinden. Zehntausende versammeln sich an den Verteilungsstellen, manchmal tagelang im Voraus, und viele gehen mit leeren Händen nach Hause.
Seit dem 27. Mai wurden weit über 400 Palästinenser getötet und über 3.000 verletzt, während sie auf Hilfe warteten. Der tödlichste Einzelangriff auf Hilfssuchende ereignete sich am 17. Juni, als israelische Streitkräfte Panzergranaten, Maschinengewehre und Drohnen in eine Menge von Palästinensern in Khan Younis abfeuerten, wobei 70 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden.
Am Tag nach dem Massaker in der Al-Rashid Straße versammelten sich noch größere Menschenmengen an derselben Stelle. Die wenigen Hilfe-Lkw, die in dieser Woche ankamen, gaben hungernden Familien einen Splitter Hoffnung.
Am 14. Juni verließ Abu Jalila, 38, Familienvater in Gaza Stadt, das Zeltlager, nachdem er Gerüchte gehört hatte, dass Hilfsfahrzeuge im Nordwesten ankommen könnten. Als er dort ankam, war er überrascht, Tausende von anderen zu finden, die auf Essen hofften. Als die Stunden vergingen, driftete die Menge näher an einen israelischen Militärposten heran. Dann explodierten ohne Vorwarnung mehrere israelische Artilleriegranaten mitten in der Versammlung. „Ich weiß immer noch nicht, wie ich es überlebt habe“, sagte Abu Jalila. Dutzende Menschen wurden getötet, ihre Körper zerrissen. Viele andere wurden verwundet.
In dem Chaos flohen einige in Panik, während andere versuchten, die Toten auf Eselskarren zu laden. Es waren alles unschuldige Menschen, unbewaffnet, die nur versucht haben, Nahrung zu bekommen. Erschüttert und mit leeren Händen ging Abu Jalila 4 Stunden zurück nach Gaza-Stadt.
Eine andere Gruppe von Nachbarn verließ ihr Zeltlager um 19:30 Uhr und wanderte bis 02:30 Uhr durch die Nacht. Im Morgengrauen näherten sie sich einer Sandbarriere, die von israelischen Streitkräften bewacht wurde. Ein Lautsprecher bellte: „Die Hilfsstelle ist geschlossen. Es gibt keine Verteilung. Gehen Sie nach Hause!“
Die Gruppe blieb vertraut mit dieser Taktik, um die Massen zu verdünnen. Dann kamen die Drohungen: „Lauft oder wir eröffnen das Feuer, ihr Hunde!“ Zeitgleich schossen IDF-Soldaten aus 1 km Entfernung auf die Menschenmenge. Alle warfen sich zu Boden. Es gab Verletzte und Tote.
Als eine halbe Stunde später eine weitere Ankündigung den Zugang freigab, stürmte die Menge mit erhobenen Händen los. Sie liefen 2 km bis zu einem Kontrollpunkt privater bewaffneter Milizen. Sie sahen aus wie Film-Rambos: dunkle Sonnenbrillen, bis an die Zähne bewaffnet, kugelsichere Westen mit aufgenähten US-Flaggen. Als die Menge die Hilfslieferung erreichte gab es Chaos! – Keine Ordnung, keine Fairness, nur Überleben. Sobald man eine Kiste gepackt hat, leerte man sie in die Tasche und ist gelaufen. Wenn man angehalten hätte, würde man ausgeraubt oder zerquetscht werden.
Als Reaktion auf diesen Artikel erklärte ein israelischer Armeesprecher: „Die IDF erlaubt es den amerikanischen zivilen Organisationen, unabhängig zu arbeiten, um Hilfe an die Bewohner von Gaza zu verteilen, und arbeitet daran, ihre sichere und kontinuierliche Verteilung im Einklang mit dem Völkerrecht zu gewährleisten.“
Soweit der Auszug aus dem Artikel des international anerkannten Nachrichtenmagazins +972 von letzter Woche. Das Mindeste, was wir hier in Deutschland tun können, ist darüber nicht zu schweigen.
Vielen Dank! „Freiheit für Palästina!“