Reden zum Veteranentag 2025 (II)

Historisches Wehrmachtsplakat

Wir dokumentieren eine weitere Rede zum Veteranentag 2025, gehalten zum 15.6.2025 in Bremen anlässlich einer Kundgebung des Bremer Friedensforums zum Thema „Veteranen“:

Der Veteranentag, welch ein Hohn, welch eine Schande, wird in unserer Bürgerschaft  gefeiert. Deshalb möchte ich etwas über den Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann erzählen. Wenn er noch lebte, hätte er mit Freuden gern selbst eine aufrüttelnde Rede gehalten. Ich versuche heute, Ludwig eine Stimme zu geben.

Anfang 1980 gründete Ludwig Baumann mit 37 anderen Deserteuren die „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“, deren 1. Vorsitzender er war.

Heute führen wir die Bundesvereinigung mit Günter Knebel als Schriftführer, einer 2. Vorsitzenden und 2 Beisitzern und dem wissenschaftlichen Beirat nach besten Kräften weiter, wobei Günter Knebel den größten Anteil hat.

Ludwig Baumann verstarb am 5. Juli 2018 im Alter von fast 97 Jahren. Er war der letzte noch lebende und bekannte Wehrmachtsdeserteur.

Wer war Ludwig Baumann und was zeichnet ihn aus?

Ludwig Baumann wurde am 13.12.1921 1 in Hamburg geboren, als Sohn eines Tabakgroßhändlers. Seine Mutter starb, als Ludwig erst 15 Jahre alt war. Darunter hat Ludwig sehr gelitten. Er war ein sensibler, zart gebauter Junge, aus dem der Vater einen richtigen Kerl machen wollte. Ludwig war Legastheniker, hatte große Schwierigkeiten in der Schule und wurde mit 14 Jahren in eine Maurerlehre gesteckt.

Ich kürze stark ab, er kam dann zur Marine und am 4. Juni 1942 beschloss er, mit seinem Freund Kurt Oldenburg zu desertieren, das war in Bordeaux. Sie wurden schnell gefasst. Sie waren jung und unerfahren, konnten kein Wort Französisch und waren allein schon dadurch schnell als Fahnen flüchtige zu erkennen.

Beide wurden sehr schnell zum Tode verurteilt. Ich mach’ es wieder kurz, denn ich möchte noch einiges zum Wirken von Ludwig Baumann sagen.

Ludwigs Vater schaffte es, dass die beiden begnadigt wurden, und nach 10 Monaten in der Todeszelle, immer auf den Tod wartend, wurde das Urteil in 12 Jahre Zuchthaus umgewandelt. Aber vorher kamen sie in ein Strafbataillon als Kanonenfutter an der Ostfront, in die Ukraine, die Zuchthausstrafe sollte nach dem Krieg verbüßt werden. Ludwigs Freund Kurt Oldenburg überlebte das Strafbataillon nicht. Ludwig, wurde mithilfe eines Arztes gerettet, der eine Verletzung am Bein, mit der Ludwig im Lazarette lag, solange nicht heilen ließ, bis der Krieg zu Ende war. Dieser Mann riskierte sehr viel, war kein Deutscher. Die Traumata aus dem Erlebten sind bei Ludwig nie verheilt.

Ich habe dies alles sehr verkürzt beschrieben, weil ich noch von Ludwigs Wirken erzählen möchte, und ich hab nicht viel Zeit zum Reden bekommen.

Nach dem Krieg wurde Ludwig nicht nur als Vaterlandsverräter beschimpft , sondern er bekam Drohbriefe der übelsten Art. Er wurde verprügelt, und auf der Polizeiwache, bei der er das melden wollte nochmal, von der Polizei. Sein Vater hatte ihm zwar durch seine Beziehungen geholfen, aber er verachtete seinen Sohn und die Beziehung zu seinem Vater war sehr kühl und distanziert bis zu dessen Tod. Ludwig fing an zu trinken und hat es geschafft, sein gesamtes Erbe und das Erbe seiner Schwester zu versaufen. Nach dem Krieg arbeitete er als Vertreter, besser (Hausierer) für Gardinen , später Radios und Fernseher, und lernte so seine Frau Waltraud kennen, die aber schon 1966 bei der Geburt des 6. Kindes starb.

Der Tod seiner Frau traf ihn schwer und seine Schuldgefühle , die er sowieso schon hatte sich. Aber es war der Anlass, mit dem Trinken aufzuhören und Verantwortung für seine Kinder zu übernehmen. Ich habe Ludwig kennengelernt, 2001/2002 bei den wöchentlich stattfindenden Friedenskundgebungen in Bremen Nord, wir waren frisch Zugezogene. Ludwig konnte Fidi und mich schnell gewinnen, bei der Bundesvereinigung mitzumachen. Die Mitgliederzahl war existenziell geschrumpft . Zu der Zeit war er schon eine Berühmtheit und wir waren sehr froh, ihn kennenzulernen und mit ihm arbeiten zu können.

Was war seine Arbeit? Der wichtigste Erfolg war, dass er es geschafft hat, die entwürdigenden Kriegsverbrecherurteile gegen die sogenannten Wehrkraftzersetzer und Kriegsverräter rückgängig zu machen. Ich zitiere Ludwig „Was gibt es Besseres, als den Krieg zu verraten?“ Der ehemalige Nazi Theodor Oberländer wurde Minister in der Adenauer Regierung, obwohl er nach dem Krieg für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wurde. Ich zitiere Ludwig:

„Was ist das für eine Tat, der nur die Mörder freispricht? Was ist das für ein Staat, der immer noch meint, dass Hitlers Richter in vielem richtig urteilten? Was ist das für ein Staat, der Leute, die ihre Teilnahme an diesem Morden verweigerten, immer noch bestraft? Ich bin fast verzweifelt an diesem Staat! Kriegsverrat ist Friedenstat!“

Bis 2009 wurde im Bundestag einfachen Wehrmachtssoldaten sogar offen das Recht auf Widerstand abgesprochen, besonders jenen, die wegen sogenannten Kriegsverrat zum Tode verurteilt worden waren. Ludwig galt bis 1997 noch als vorbestraft. Was das bedeutetet hat, mag man sich gar nicht mehr vorstellen. Ludwigs Devise: Kein Mensch kann ohne Würde leben.

Einfach war die Rehabilitierung nicht. Es wurde immer wieder von der CDU Einzelfalluntersuchung gefordert, man musste 18 Monate Unrechtshaft nachweisen.

„Der 2. Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen“, dieser Satz schaffte den Durchbruch, wenigstens für die Wehrkraftzersetzer, Wehrdienstverweigerer und Deserteure. Die Verurteilten wegen Kriegsverrat waren noch nicht dabei, das war erst nach zäher Arbeit, 2009 geschafft, mit Tricksen und Hilfe der LINKEN: damals noch auf der richtigen Seite. Die ganzen Zusammenhänge kann ich nicht hier wiedergeben, aus Zeitgründen. Ich zitiere lieber Ludwig:

„In unserer Geschichte sind die Soldaten immer dazu missbraucht worden, alles zu zerstören, fremde Länder, das eigene Land und auch sich selbst. Hinterher konnte nie einer sagen, was der, den er tötete, ihm denn getan hat. Es ist doch Wahnsinn: wenn ich einen Menschen umbringe, bin ich ein Mörder und wenn es mir befohlen wird, bin ich ein Held“

In Vegesack wurde im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus, ich glaube 1986, das erste Deserteursdenkmal aufgestellt, das gab einige Furore. Fortan durfte die Bundeswehrbrigade aus Schwanewede das Bürgerhaus nicht mehr betreten, weil der dargestellte unbekannte Deserteur einen Nato-Helm aufhatte.

Ludwig erzählte, :

„Der Bürgermeister Wedemeier bekam, wenn er beim Verteidigungsminister auf der Hardthöhe war, immer zu hören, dass das Ding da wegmüsse, sonst bekäme Bremen keine Rüstungsaufträge mehr.“

Diese Furore und die symbolischen Erfolge waren Lichtblicke in Ludwigs Leben. 1,3 Millionen Soldaten galten nach dem Krieg als „rechtskräftig vorbestraft?“

Etwa 4000 Soldaten, die während des Krieges zum Tode verurteilt waren, und später begnadigt worden waren, hatten danach sogar auch noch die Strafbattaillione überlebt, was häufig einem Wunder gleich kam. Die Zahl ist schon erstaunlich. Aber diese Menschen, die so viel Glück gehabt haben, aber auch so viel Strapazen erfahren haben, hatten meistens auch nach dem Krieg kein friedvolles Leben, ganz im Gegensatz zu ihren Richtern, auf die eine ehrenvolle Karriere wartete. Deshalb konnte auch die Rehabilitierung erst so spät stattfinden, als kein Nazirichter mehr im Amt war. Freislers Witwe konnte sogar erreichen, dass ihre ansehnliche Pension, die sie von ihrem Gatten, dem blutigsten aller Blutrichter, dem ehemaligen Präsidenten des Volksgerichtshofs bezog, noch erhöht wurde, da sie meinte, wenn er noch gelebt hatte, hätte er ja auch eine Erhöhung erhalten. Die Wehrmachtsdeserteure mussten um eine kleine Wiedergutmachung kämpfen .

Ich zitiere Ludwig: „Viele Richter haben nach dem Krieg Karriere gemacht, einige sind sogar bis zu Bundesrichtern aufgestiegen. Sie haben die Nachkriegsrechtsprechung entscheidend mitgeprägt. Hätten sie uns rehabilitiert, hätten sie befürchten müssen, selbst angeklagt zu werden. Erst als keiner mehr m Amt war, hat der Bundesgerichtshof, vielleicht in später Reue, festgestellt: Die Wehrmachtsjustiz war eine Blutjustiz“

Ludwig war unermüdlich selbst auf der Straße, so wie wir, bis ins hohe Alter von 94 Jahren konnte man ihn mit seinem Fahrrad durch Vegesack radeln sehen.

Er fuhr mit uns, d.h. Ingeborg Kramer, Ursula Prahm und mir, z. B. nach Schwanewede und Garlstedt, um Flugblätter an die Soldaten zu verteilen, die zur Fahnenflucht aufriefen. Das Gleiche machte er auf den Bahnhöfen, wenn Wochenende war, oder neue Rekrutierungen, bis er später Bahnhofsverbot bekam.

Er fuhr nach Mittenwald, um gegen die Jahresfeiern der Gebirgsjäger zu demonstrieren. Er kämpfte für würdige Gedenkstätten und Ausstellungen z. B. in Torgau und Halbe, kannte keine Scheu sich, mit Politikern und den Gedenkstättenleitern anzulegen. Er wollte keine Gleichsetzung von Naziherrschaft  mit dem angeblichen, so gern zitierten Unrechtsstaat DDR. Er stand zu den Sinti und Roma und zu den Palästinensern und nahm an unseren Mahnwachen teil und forderte immer wieder Respekt und Demut vor den 27 Millionen Sowjetbürgern ein.

Zitat Ludwig: Wenn die Russen mit uns das Gleiche gemacht hätten wie wir mit ihnen, dann gäbe es uns nicht mehr. In diesem Sinne wollen wir weitermachen.

Kriegsverrat ist Friedenstat! Danke

Redetext: Gisela Vormann

 

 

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