
Wir dokumentieren eine Pressemitteilung der Juristenvereinigung IALANA-Deutschland vom 17.03.2025
Rechtsbruch mit Ansage: Merz will den Internationalen Strafgerichtshof im Fall Netanjahu missachten
Merz, in seiner Pose als noch nicht gewählter neuer Bundeskanzler, konstatiert in der „Jüdischen Allgemeinen“ vom 10.Februar 2025 und erneut in seiner Pressekonferenz am 24.Februar: Natürlich könne Netanjahu, sein Freund (sic!), in Deutschland ungehindert ein- und ausreisen. Er lud den mit Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zur Festnahme ausgeschriebenen israelischen Regierungschef zu einem Deutschlandbesuch ein und sagte ihm wörtlich „Mittel und Wege zu, dass er Deutschland besuchen und wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist.“
Wie der – früher auch mal strafrichterlich tätige – Rechtsanwalt das bewerkstelligen will, ließ er offen. Er weiß natürlich, dass Deutschland, gebunden an das Statut von Rom, verpflichtet ist, die Haftbefehle des IStGH zu vollstrecken. Er weiß, dass es dabei keine rechtlichen Ausnahmen gibt und auch keine Befugnis, die Begründung des Haftbefehls zu überprüfen. Er kennt das deutsche Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH von 2002. Nach § 2 des Gesetzes ist Deutschland verpflichtet, Netanjahu festzunehmen und nach Den Haag zu überstellen, wie es vor kurzem mit dem früheren Ministerpräsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte, geschehen ist. In Deutschland ist das Bundesministerium für Justiz für die Zusammenarbeit mit dem IStGH zuständig, konkret dann die örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft und das Oberlandesgericht. Weder die GenStA noch das OLG dürfen im Auslieferungsverfahren den ordnungsgemäßen Erlass des Haftbefehls überprüfen oder irgendeine Verdachtsprüfung durchführen. Auch die Vorschriften über die Immunität von Staatsoberhäuptern (§ 98 IStGHG) sind bei Völkerrechtsverbrechen – auch bei Nicht-Vertragsstaaten – nicht anwendbar. Das hat der IStGH zuletzt im Fall des Haftbefehls gegen Putin festgestellt.
Offenbar will Merz durch eine Weisung in das Festnahme- und Überstellungsverfahren eingreifen und damit die Autorität des IStGH und die Unabhängigkeit der deutschen Justiz zugleich in Frage stellen: ein vorsätzlicher und angekündigter schwerwiegender Bruch internationalen und nationalen Rechts, womöglich sogar strafbar als Strafvereitelung nach §§ 258, 258 a StGB.
IALANA sieht sich im Protest gegen Merz in einer Reihe mit angesehenen Juristen („Opportunistischer Rechtsbruch“ – Herta Däubler-Gmelin ; „Rechtsbruch mit Ansage“ – Kai Ambos; „Freies Geleit mit der Brechstange“ – Max Kolter; „Zertrümmerung des Völkerrechts“ – Stephan Detjen).
Merz äußert nicht zum ersten Mal solche rechts-nihilistischen Tendenzen, wie wir sie weithin beobachten, insbesondere bei der Missachtung verbindlichen Völkerrechts. Bereits bei Erlass des Haftbefehls gegen Netanjahu u.a. hatte er erklärt, er werde alles tun, um eine Vollstreckung dieses Spruchs des IStGH abzuwenden. Der IStGH sei – erklärt er wider besseres Wissen- nur eingerichtet worden, „um Despoten und autoritäre Staatsführer zur Rechenschaft zu ziehen, nicht um demokratisch gewählte Regierungsmitglieder festzunehmen.“ Soll der IStGH nach seiner bisherigen Praxis nicht der Kritik Recht geben, er sei nur ein Gericht gegen Staatschefs des globalen Südens, muss er seine Autorität nun auch gegen Täter von Völkerrechtsverbrechen in der westlichen Welt beweisen. Israel steht nicht über dem Völkerrecht, auch nicht für deutsche Politiker und ihre Staatsräson. Da Israel schwerste Völkerrechtsverbrechen in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten nicht selbst strafrechtlich wirksam verfolgt, greift die subsidiäre Zuständigkeit des IStGH.
Deutschland war führend bei der Errichtung des IStGH durch das Rom-Statut von 1998. Es hat seine völkerrechtlichen Verpflichtungen vorbildlich in nationales Recht umgesetzt durch das Völkerstrafgesetzbuch und den Gerichtshof weiterhin international gefördert. Noch am 22.Mai 2024 bekräftigte die Bundesregierung, sie werde das Gericht weiterhin unterstützen; auch im Fall eines Haftbefehls gegen israelische Politiker werde sie sich an Entscheidungen des Gerichts halten. Regierungssprecher Hebestreit damals: „Natürlich. Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.“
Merz dazu: „Ein Skandal“. Und auch Kanzler Scholz ging auf Abstand: die Gräueltaten der Hamas ließen sich nicht mit Israels Kriegsführung vergleichen.
Donald Trump hat den IStGH zu einer Bedrohung der Nationalen Sicherheit der USA erklärt und Sanktionen sowie persönliche Konsequenzen für seine Unterstützer angeordnet. Beschlagnahmen von Vermögen der zuständigen Ermittler und Richter sind gefolgt. Sie hätten „illegale und unbegründete Aktionen gegen Amerika und unseren engen Verbündeten Israel vorgenommen.“
Israel verweigert den Ermittlern des IStGH die Einreise, ebenso Personen, die sich öffentlich für eine Strafverfolgung von israelischen Amtsträgern wegen Völkerrechtsverstößen aussprechen. Beide Staaten sind dem Vertrag zum IStGH nicht beigetreten und bekämpfen seine Arbeit mit allen Mitteln. Der US-Kongress hat im Jahr 2002 mit dem American Service-Members Protection Act sogar beschlossen, seine Bürger notfalls mit militärischen Mitteln vor der Strafverfolgung durch den IStGH zu schützen.
Auf der website des deutschen Außenministeriums ist dagegen zu lesen:
„Die Bundesregierung ist aktuell der zweitgrößte Beitragszahler (sc. nach Japan) zum Haushalt des IStGH und setzt sich aktiv dafür ein, dass der Gerichtshof möglichst effektiv arbeiten kann und breite Unterstützung in der Staatengemeinschaft findet. Die Bundesregierung ist überzeugt, dass der Gerichtshof im Ringen um mehr Gerechtigkeit und beim Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, einen wirksamen Beitrag leistet und dabei zunehmend universale Bedeutung und Akzeptanz als „Weltstrafgericht“ erlangt.“
IALANA -Deutschland fordert die jetzige und die künftige Bundesregierung auf, diese klare Position beizubehalten und Merz zu hindern, rechtswidrig den Haftbefehl des IStGH zu missachten.
Ein Kanzler hat bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag nach Art. 64 GG den Eid zu leisten, dass er „das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen werde.“ Auch ist er als Teil der Exekutive nach Art. 20 Abs.3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Wir fragen die neu gewählten Abgeordneten des Bundestag: Darf jemand überhaupt Kanzler werden, der schon vorweg ankündigt, das Recht brechen zu wollen?
(Siehe zum Thema auch den DLF-Beitrag „Zertrümmerung des Völkererechts“ vom 2.3.2025)